
Dieser kleine Abschnitt der gigantischen Progoase dient der Vorstellung einer wichtigen SchlĂĽsselfigur der Canterbury Szene. Es geht um den Musiker und Produzent Steve Hillage.
Neben einigen Fakten zu dem Genre und Person werden auch Hörbeispiele und Infos zu den einzelnen Werken, auf den er mitgewirkt hat, geliefert.
Persönlicher Anstoss
In letzter Zeit ist mir wieder stark aufgefallen, dass ich mich bei Bands wie ARZACHEL, GONG und weiteren Gruppen des Canterbury Sounds zuhause fühle und möchte versuchen meine Leidenschaft zu dieser Art von Musik und besonders zu Steve Hillage weiterzugeben, mit der Hoffnung jemanden damit begeistern zu können.
Ich bin kein Neunmalkluger und kein Fachmann der 60er/70er Musik, aber irgendwo muss man ja schließlich anfangen. Neben der Tatsache dass ich diesen Gitarristen samt seines musikalischen Umkreises und diesen Musikstil als solches extrem spannend finde, 'sollte' meiner Meinung nach kein Musikfan mit engen Scheuklappen durch die Welt wandern und bereit sein möglichst viele Grenzen auszuloten.
Also, auf geht's...
Canterbury Szene (kompakt)
Im Gegensatz zu vielen anderen Vertretern des Progressive Rock, die in London und Umgebung entstanden, nahm die Geschichte des Canterbury in der gleichnamigen Stadt Englands ihren Lauf.
Alles begann mit den Querdenkern THE WILDE FLOWERS (1963-1967), die den Grundstein für das Nachkommen gelegt haben. Aus dieser Band gingen später SOFT MACHINE (1966) und CARAVAN (1968) hervor, welche heute zu den bekanntesten ihrer Art zählen und damals wie heute einen legendären Status genießen. Personen wie Robert Wyatt, Hugh Hopper, Sinclair Cousins, Kevin Ayers und Daevid Allen sind die unbestrittenen Väter dieser weiterdenkenden und experimentierfreudigen Spielart.
Daevid Allen (Ex-SOFT MACHINE) ging nach dem Ausstieg aus SOFT MACHINE nach Paris und gründete die eigenartigen GONG (1968), eine große Familie bestehend aus vielen Musikern, zu den später auch Steve Hillage gehörte.
Die Jahre vergingen und es kamen einige neue Bands an die Oberfläche. Die Briten GILGAMESH (1972), QUIET SUN (1972), HATFIELD AND THE NORTH (1972) und NATIONAL HEALTH (1975) sowie die Niederländer SUPERSISTER (1968) sollten hier nicht unerwähnt bleiben. Der typische Canterbury Klang ist bis heute ein Exot geblieben, bereicherte dafür umso mehr wetere Unterkategorien wie Fusion/Jazz Rock (überwiegend 70er) und RIO/Avant-Rock (überwiegend 80er).
Den Canterbury Prog könnte man sich ganz allgemein als eine Fusion aus Progressive Rock, improvisierter Jazz Rhythmik und psychedelischer Atmosphäre vorstellen, welche oft durch ganz unterschiedliche Instrumente und Elektronikeffekte realisiert wird. Ein kleiner Teil der Bands ließ auch Folk- und Blues-Elemente einfließen, dies waren aber eher die Ausnahmen.
Steve Hillage trug mit seinem geschickten und unnachahmlichen Gitarrenspiel zweifelsfrei eine Riesenmenge zu den Bands bei und ist durch die persönlichen Visionen seiner Solokarriere mitverantwortlich für die Entstehung des psychedelischen Space Rock, der stark elektronisch beeinflussten Musikart (u.a. OZRIC TENTACLES).
Stephen Simpson 'Steve' Hillage - – the man from outer space

Musikalischer Werdegang
Steve Hillage wurde 1951 in London geboren, in dieser Stadt begann auch mit der ersten Band (URIEL) seine bis heute andauernde musikalische Reise durch die tiefsten Galaxien des musikalischen Universums.
Etwas später (1968) zog er nach Canterbury, um neben einem Studium die zweite Band namens ARZACHEL zu gründen, die aus den Ex-Mitgliedern von URIEL bestand. Zusammen veröffentlichten sie ein Album, nach einiger Zeit trennten sich die Wege der Beteiligten.
1971 brach Steve sein Studium ab und zog zurück nach London, die übrigen Mitglieder von ARZACHEL hatten andere Pläne, etwas später bekannt als die Formation EGG (auch Canterbury).
In der Hauptstadt angekommen, dauerte es nicht lange und sein drittes Musikprojekt erblickte das Licht der Welt. KHAN bestand aus komplett neuer Besetzung und 1972 kam das Album Space Shanty raus, für das Hillage die Songs schon während seines Studiums geschrieben hatte. Bei den Aufnahmen gab es diverse Ungereimtheiten, sodass der 'Space Man' seinen alten Komparsen Dave Stewart (Ex-ARZACHEL/URIEL) bat die Songs im Studio einzuspielen, welcher auch später ein festes Mitglied der Band wurde.
Das KHAN Werk hatte kaum Erfolg und nach einer kurzen Flaute landete Steve bei den legendären GONG. Zusammen brachten sie auf drei Alben, besser formuliert war es eine Trilogie, betitelt mit dem Namen Radio Gnome Invisible Part 1-3 (Flying Teapot, Angel's Egg, You). Die einzelnen Parts entstanden in den Jahren 1973 und 1974 und bedingt durch den relativ großen Erfolg wurde '73 bis '75 sehr viel getourt. Die Band bereiste den Großteil Europas, nach und nach entstand eine riesige Fangemeinde die bis heute noch im Untergrund verweilt.

Im Dezember 1975 begann fĂĽr Steve mal wieder ein neuer Lebensabschnitt, er stieg bei GONG aus und startete seine Solokarriere.
Noch im gleichen Jahr kam unter seinem Namen das Debüt Fish Rising auf den Markt. Neben diversen Musikern sind auf dem Album auch Mitglieder von GONG zu hören.
1976 kam mit geändertem Line-up der Nachfolger. L feierte in England großen Chart Erfolg, der eine ausgiebige Tour mit sich brachte. Im gleichen Jahr kam sogar eine USA-Tour zustande, wo Steve und seine Band schließlich die nächste Chart Platzierung ernten konnte.

Nach einer kurzen Pause in England kehrte Hillage zurück nach USA (Los Angeles), wo er mit neuen Musiker zwei weitere Alben veröffentlichte, Motivation Radio (1977, co-produced by Stevie Wonder!) und Green (1978). In diesen Jahren widmete sich die Band unzähligen Live-Auftritten, unter anderem mit NATIONAL HEALTH. Es entstand ein Live Album namens Live Herald, das neben dem bekannten Repertoire auch bis dato unveröffentlichte Songs enthielt.
Ein Jahr nach dem Green Release kam der fünte Longplayer in die Läden. Open (1979) war eine Stiländerung, Hillage wurde noch experimentierfreudiger (als er eh schon war). Die folgenden Rainbow Dome Musick (1979) und For To Next (1983) hatten bereits überwiegend elektronische Ausrichtung und zeigten bereits den Weg auf, auf dem sich der Künstler weiterhin begeben würde.
Mit seinem neuen Projekt SYSTEM 7 (mit Miquette Giraudy) fand seine Lust zur elektronischen Musik ihren richtigen Ausbruch. Steve widmete sich den Aufnahmen und Auftritten, werkelte ständig an neuen Sounds und Klanglandschaften. Die Gitarre hat er dabei aber niemals vergessen...

2006 reformierten GONG aufs Neue und gaben in dem klassischen Trilogie Line-up einen Auftritt in Amsterdam. Nach diesem Konzert wurde das Verhältnis zwischen Steve und Daevid Allen (Gründer von GONG) wieder enger und das beide hatten das Bedürfnis wieder gemeinsam ins Studio zu gehen. Das Ergebnis der Wiedervereinigung nannte sich 2032 (2009), welches bis heute die letzte bekannte Musikaktivität von Steve Hillage werden sollte...
Die Musik
Mit bereits 9 Jahren (ca.1960) war Steve stolzer Besitzer einer Gitarre und stand unter großem Einfluss verschiedener Blues-Musiker dieser Zeit, welche er beim Spielen imitierte und somit das Gitarrenspiel nach und nach erlernen konnte. Seine größte Inspiration und Erkenntnis lieferte ihm jedoch ganz klar Jimi Hendrix, dessen frühe Auftritte der kleine Stevie mit 15 bewundern durfte.
Steve Hillage bei:
1. ARZACHEL (URIEL) - Arzachel (1969)
Leg
Das selbstbetitelte Album ist heutzutage ein Klassiker der 60er Canterbury Szene gehört mit Sicherheit in jedes Regal einer gut sortierten Sammlung alter Aufnahmen.
Kirchliche Atmosphäre (wie sie in alten Horrorfilmen dargestellt wird), Chaos, ganz tiefe Orgelklänge und ausufernde Gitarrenpartien. Die visionäre Note Hillages (aka Simeon Sasparella) hört das geübte Ohr bereits deutlich raus, wobei hier die Orgel noch sehr oft die Oberhand hat. Legt er an seiner Strat (Gitarre) los, entsteht seinerseits eine emotionell positiv geladene Stimmung (siehe Hendrix), die Tiefen von Bass und Orgel sind dagegen der 'böse' Gegenpart. Unheimlich, überraschend und ganz anders, als man sich Prog Rock allgemein vorstellt. Suchtgefahr!
Zudem gibt es auf dem Album zwei dauern abwechselnde Sänger zu hören, Hillage ist einer davon.
2. KHAN – Space Shanty (1972)
Stranded
http://vimeo.com/37083672
Auch auf diesem Werk gibt es neben Hillage einen weiteren Sänger zu hören, was die einzige Gemeinsamkeit zu ARZACHEL darstellt. Space Shanty glänzt mit strukturiertem Sound und viel Platz für die Gitarre. Jedes der Instrumente lässt dem anderen Raum zur Entfaltung, des öfteren erklingt auch nur eins alleine. Gesanglich deutlich melodischer und gefühlvoller als bei der ersten offiziellen Band. Kompositorisch geht es ruhiger zu, differenzierter, um einiges detailreicher. Songs, die wirklich Zeit brauchen, aber dennoch einen gewissen Fluss mit sich bringen. Sie bestechen durch viele Themen- und Tempowechsel, Komplexität, lange Soliparts und vieles mehr. Mit gewisser Leichtigkeit, fast unauffällig, gehen die Songs in einander über, ein Konzeptgedanke ist durchaus rauszuhören. Dieses Album belohnt zuerst die Geduldigen ;)
Klassiker!
3. GONG – Radio Gnome Invisible Part 1-3
Auf der kultigen Trilogie fällt es oft schwer genau das Spiel von Hillage ausfindig zu machen, da auch Daevid Allen (Sänger) Gitarre spielt. Hier geht es rauf und runter, viele instrumentale Feinheiten versammeln sich auf einem engen Platz. GONG waren schon immer sehr verrückt und auf eine kosmische Art auch irgendwie lustig, was sich komplett auf die Musik widerspiegelt. Eine eigene Welt in der Welt, sozusagen. Besonders auffallend sind diverse Blasinstrumente wie Saxophon und Flöte, unzähliger Stimm- und Syntheffekte, groovende Basslinien und treibende, fast HAWKWIND-ähnliche Rhythmen. Ein Klangerlebnis, das man gründlich studieren muss, um auch nur einen Teil auffassen zu können. Bei dieser Band sind die Kopfhörer besonders empfehlenswert!
I am your pussy
You are my tramp
Don't want to fuck you
Just hear you run
Miow... miow... miow...
You can be a cat too
Fly away to the funny Planet GONG!
4. STEVE HILLAGE – Fish Rising (1975)
Solar Musick Suite
Das Solo Debüt besteht aus drei längeren und zwei kürzeren Stücken, die in sehr enger Beziehung zueinander stehen. Die Präsenz einiger GONG-Mitgliedern sorgt für ein leises Echo aus der Vergangenheit, es ertönen sehr vertraue Töne artistischer Instrumentalisten und erinnern direkt an die Trilogie-Phase. Was das Album von den Vorgängerbands unterscheidet hört man trotzdem sofort, Hillage (aka Hillfish) driftet immer mehr in seinen eigenen Space Rock ab. Überlange Gitarrensoli und spielfreudige Akkorde bis zur Ekstase, das hypnotische Gitarrenspiel bewegt sich nicht selten außerhalb des Songs, lenkt den Zuhörer vom Rest ab und landet wieder in dem Song um im Einklang mit elektronischen Klängen und diversen Instrumenten (Fagott, Keys, Sax, Flöte, Marimba, Orgel) den Song in eine neue Richtung zu lenken. Grandioses Debüt!!
5. STEVE HILLAGE – L (1976)
Lunar Musick Suite
Das zweite Album beginnt mit einer Coverversion des britischen Songwriters DONOVAN. Hurdy Gurdy Man klingt wie auf Hillage zugeschnitten, man könnte meinen das Lied stammt aus seiner Feder. Luftig rockig ist das Lied, wird am Ende noch beschleunigt und landet in Hurdy Gurdy Glissando, einer spacigen Fortsetzung des Songs. Der Song steigert sich immer mehr in das eigentliche Thema und weckt ganz entfernte Assoziationen zu GONG, nur ohne den ganzen crazy stuff. Dann taucht plötzlich eine groovende Basslinie auf und der Song fängt an zu rocken. Überhaupt ist das Album viel mehr nach vorne pulsierend ausgefallen als das Debüt. Wenn man sich hergibt, vergeht die Zeit wie im Flug. Electrick Gypsies kommt sehr fröhlich, mit einer tollen Gesangslinie ist der Song fast schon radiotauglich.
Die zweite Seite startet mit einem kurzen, im Gesang indisch(!) angehauchten Song Om Nama Shivaya. Sehr authentisch und schön umgesetzt. Danach folgt der Höhepunkt des Albums, Lunar Musick Suite. Spätestens bei diesen 12 Minuten wird es klar, warum das Album in England so erfolgreich war. Einer der Höhepunkte seines Schaffens, schwer in Worte zu fassen → anhören (leider gibt es bei YT nur den zweiten Teil des Songs, aber zumindest etwas).
Der letzte Song It's All Too Much ist ein BEATLES Cover und rockt wieder gewaltig. Die fröhlichen Hippie-Melodien verbinden sich mit der typischen, leicht psychedelischen Atmosphäre des Gitarristen.
L ist als Einstiegsalbum besonders gut geeignet!
6. STEVE HILLAGE – Motivation Radio (1977)
Radio
Das dritte Album überrascht mit (relativ) kurzen Stücken und reduziertem Equipment. Gitarre, Bass, Drums und Synths, nicht mehr und nicht weniger. Der Zuhörer findet sofort den Zugang zu den abwechslungsreichen und oft ohrwurmtauglichen Songs. Bereits nach dem ersten Hören bleiben einige Abschnitte in den Ohren hängen.
Steve hat sich zu dieser Zeit hörbar zu einem Perfektionisten entwickelt, die Gitarrenbeherrschung ist der pure Wahnsinn. Wer nach einer spannenden Alternative zu PINK FLOYD (und deren Nachahmern) sucht, könnte bei den Soloalben dieses Künstlers sein Glück finden. Eine Offenheit zum Verrückten und Virtuosen sollte vorhanden sein.
Unausweichliche Empfehlung!
Wetere Empfehlungen:
STEVE HILLAGE – Green (1978) / Anspieltipp: Palm Trees (Love Guitar)
GONG – 2032 (2009) / Anspieltipp: Wacky Baccy Banker
SYSTEM 7 (FĂĽr Dance/House/Elektronik Fans)
Ăśber RĂĽckmeldungen und weitere Anregungen wĂĽrde ich mich sehr freuen
