von GordonOverkill » 17. Mai 2011, 04:16
Ich find den Thread ausgesprochen spannend! Zu den Anfangstagen kann ich leider nichts sagen, vielleicht aber zumindest ein paar Gedanken zur Begriffsklärung beitragen.
Hier stehen ja bisher zwei Definitionen im Raum:
1. "Underground" als Prädikat von Veröffentlichungen, die ohne Beteiligung eines Labels geschehen beziehungsweise die sich durch eine erschwerte Zugänglichkeit auszeichnen.
2. "Underground" als Prädikat von Entitäten, die sich durch Extremität in mindestens einem Bereich von einem kommerziellen Mainstream abgrenzen.
Auffällig finde ich hier zunächst mal, dass sich die beiden Definitionen bis hierher nicht zwingend ausschließen. Tatsächlich bedeutet 1. einen Spezialfall von 2., in welchem sich die Extremität in der Rarität von Veröffentlichungen manifestiert.
Auffällig scheint mir außerdem, dass beide Definitionen in dieser Form wertfrei erscheinen.
Ich glaube, beide Definitionen sind in dieser Form ungenügend, um die Bedeutung(en) abzubilden, die der Begriff für gewöhnlich besitzt, wenn er von Metal Fans gebraucht wird.
1. reicht aus, um einen Satz wie: "Ich hab mir ein paar schöne Underground Platten in die Sammlung gestellt." oder: "Ich war am Wochenende auf nem Underground Konzert." zu beschreiben. Im ersten Beispiel geht es um schwer zu beschaffende Platten, die ohne Mitwirken eines Labels entstanden sind; in letzterem Beispiel um ein Konzert, auf welchem (ausschließlich? hauptsächlich? mehr als gar nicht?) Bands aufgetreten sind, auf deren Veröffentlichung(en) (die aktuellen? die meisten? mehr als keine?) die Definition zutrifft. Schwierig wird es bei einem Satz wie: "Mein Kumpel ist Underground Fan." Denn da spielen Faktoren eine Rolle, die die Definition nicht abzudecken scheint. Denn Fan ist man gemäß der gängigen Bedeutung dann, wenn man einem Objekt aufgrund einer bestimmten Eigenschaft den Vorzug vor mindestens einer Alternative gibt. Und es scheint doch wenig sinnvoll, dass es sich dabei um eine wertfreie Eigenschaft handelt. Deswegen klingt es auch komisch, wenn wir uns einen Fan vorstellen, der auf die entsprechende Frage antwortet: "Ich bin Underground Fan, weil die dazugehörigen Veröffentlichungen schwer zu beschaffen sind und kein Label daran beteiligt ist." Ich zumindest wittere da schon eine implizite Wertung... z.B. "Bands, die für die Veröffentlichung ihrer Musik nicht auf ein Label angewiesen sind, können ihre Kreativität freier ausleben." oder "Fans, die sich auch um schwer zugängliche Veröffentlichungen bemühen, beweisen damit eine größere Liebe zur Musik." oder: "Die Anzahl der hörenswerten Veröffentlichungen im Mainstream ist zu gering, um langfristig ein Bedürfnis nach guter Musik zu decken, weswegen man irgendwann einmal auf den Underground zurückgreifen muss." Irgendetwas in der Art muss es wohl sein. Olli, was würdest du sagen, wenn man dich fragt, weswegen du ausgerechnet ein Underground Festival organisierst? Naja, die meisten Bands auf dem KIT haben oder hatten wohl Plattenverträge, weswegen die Art des Labels wohl auch noch eine Rolle spielt, aber ich finde es erst mal wichtiger, dass man offenbar an einem bestimmten Punkt um die Wertung nicht herum kommt. Ich vermute, dass dieselbe Wertung jeweils auch schon in den ersten Beispielen enthalten ist, die ich genannt hab. Wenn ich jemandem von meinen neuen Underground Scheiben erzähl, dann mach ich das nicht, um ihm wertfrei zu erzählen, wie es sich mit dem Schwierigkeitsgrad der Anschaffung verhält. In den allermeisten Fällen wäre das auch wirklich nicht besonders interessant.
In 2. ist die Wertung meiner Ansicht nach wenn auch nicht expressis verbis enthalten, so doch zumindest deutlich weniger versteckt. Ich denke, der bisherige Verlauf des Threats zeigt, dass wir uns da ziemlich einig sind. Vielleicht trivial aber doch irgendwie erwähnenswert scheint mir, dass dieser Begriff von "Underground" praktisch ausschließlich von Personen benutzt wird, die sich diesem Underground zugehörig fühlen. Leute, die sich selbst als Mainstream Metaller vom Underground abgrenzen, scheinen mir jedenfalls die große Ausnahme zu sein.
Ich will zusätzlich noch zwei weitere Begriffe von "Underground" zur Diskussion stellen, von denen ich meine, dass sie regelmäßig Verwendung finden.
3. "Underground" als negativ besetztes Prädikat von Bands (nicht Veröffentlichungen, auch nicht Fans, vielleicht noch Konzerten oder Zines), denen es an der nötigen Qualität mangelt, um es in den Mainstream zu schaffen; etwa in: "Tut mir leid, aber die Jungs sind einfach zu schlecht! Die werden immer Underground bleiben!"
Und diese finde ich besonders spannend: 4. "Underground" als der Raum innerhalb des (weitgehend kosmopolitischen) Metal, in dem sich so etwas wie Lokalpatriotismus abspielt. Hier bei uns hab ich beispielsweise schon oft Leute vom Bergischen Underground reden hören; und damit sind dann nicht Accept gemeint, sondern vor allem die vielen Bands, die es nicht über die regionalen Grenzen hinaus schaffen, bis hinauf zu Bands wie Contradiction oder Ketzer, die sich an der oberen Grenze dieses Lokalen Underground befinden und bei Zeiten daraus hervor brechen. Gerade für solche Bands, die nach 1. Underground wären, ist dieser Underground übrigens oftmals existenziell wichtig, da sie daraus einen Großteil ihrer Anhänger rekrutieren. Und auch die 250 Leute, die hier schon erwähnt wurden und die sich Anfang der 80er für die obskuren NWoBHM Bands interessiert haben, mögen aus diesem Bereich gekommen sein.
Ich denke nicht, dass einer der Definitionen wirklich falsch ist. Der Begriff "Underground" wird einfach in sehr unterschiedlicher Weise gebraucht und ich denke, wir fahren am besten, wenn wir uns darunter nicht einen, sondern einige Begriffe vorstellen... so in etwa wie Bank und Bank, wenngleich der Unterschied vielleicht nicht ganz so gravierend ist. Wir scheinen es also mit einem Begriff zu tun zu haben, der nicht nur auf diachroner, sondern auch auf synchroner Ebene eine merkliche Variabilität aufweist. Ich denke, beiden Dimensionen sollte man Rechnung tragen, wenn man um eine fundierte Begriffsklärung bemüht ist.
Meine Zweifel hab ich daran, ob es sinnvoll ist, von einem wertfreien Underground Begriff auszugehen. Durch die Entwertung wird er, denke ich, für zu viele praktische Situationen unbrauchbar und zwingt uns, in bestimmten Modellen absurde Phänomene anzunehmen. Ich würde 1. also grob ergänzen zu: "Underground = kein Label/erschwerte Zugänglichkeit plus Wertung".
Klasse find ich die Idee, für eine nähere Bestimmung von 1. bei Fanzines und Demo Dealern anzusetzen! Deren Bedeutung lässt sich gut belegen und sie stellen außerdem ein recht klar umrissenes Forschungsobjekt von überschaubaren Ausmaßen dar, das sich darüber hinaus im Falle der Zines sogar noch mit den Werkzeugen der Linguistik erfassen und analysieren ließe! An der Stelle könnte, denke ich, ein seriöses Forschungsprojekt ansetzen.
Soweit erst mal meine Gedanken. Bin gespannt, wie es hier noch weiter geht!