RUNNING WILD - Black Hand Inn (1994)Sommerpause ist vorbei. Jetzt geht’s hier auch mal weiter. Wir erinnern uns - „Pile Of Skulls“ war 1992 zu großen Teilen ja noch ein richtig geiles Geschoss. „Black Hand Inn“ erblickte zwei Jahre später das Licht der Welt. Mal in den Rückspiegel schauen: Was war denn 1994 sonst so los? Der Metal der 80er hing schwer in den Seilen. Rob Halford dilletierte etwa mit seiner Band FIGHT mit der furchtbaren „Mutations“ vor sich hin, JAG PANZER vergraulten mit „Dissident Alliance“ die alten Fans, FORBIDDEN machten sich mit „Distortion“ nicht unbedingt viele Freunde und SLAYER veröffentlichten „Divine Intervention“, ein Album, das mittlerweile in der Band-Diskographie völlig untergegangen ist. Natürlich gab es 1994 auch einige gute Metal-Platten, die ich aber unerwähnt lasse, da ich ein möglichst düsteres Szenario kreieren möchte...
Nun gut, ein Album wie „Black Hand Inn“ passte so irgendwie gar nicht in diese Zeit. Und genau das ist aus meiner Sicht der Grund, warum „Black Hand Inn“ bei vielen Fans einen so hohen Stellenwert genießt, denn am Songmaterial kann es nicht unbedingt liegen. Oftmals wird „Black Hand Inn“ sogar als die Spitze des RUNNING WILD-Schaffens gepriesen, was ich nicht mal im Ansatz nachvollziehen kann. Aber hören wir uns die Scheibe doch mal genauer an.
Der Spoken-Word-Beginn klingt für meine Ohren etwas hölzern, der Rest des Intros „The Curse“ ist ein typischer und auch guter RUNNING WILD-Auftakt. Den Platz hinter der Schießbude nahm für Stefan Schwarzmann übrigens Jörg Michael ein. Ob er „Black Hand Inn“ dann auch wirklich eingespielt hat, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Wenn er es denn getan hat, darf er von mir keine Blumen erwarten. Beispielsweise beim Titelsong verhunzt das üble Doublebass-Geboller den ganzen Song und vergrault mir die Laune. Ganz so schlecht wie der Titelsong von „Pile Of Skulls“ ist „Black Hand Inn“ zwar nicht, aber gut ist trotzdem ganz anders.
Schon mit „Mr. Deadhead“ zeigt die Qualitätskurve aber steil nach oben. Ein trockener Uptempo-Knaller mit gutem Refrain. So mag ich meine RUNNING WILD. Ein gelungener Griff in die Mottenkiste ist den Piraten mit „Soulless“ gelungen. Der Song ist sehr einfach gehalten, glänzt mit einem schmissigen Riff und könnte fast 1:1 auf der ollen „Branded And Exiled stehen. Geil!
Die Melodieführung beim folgenden „The Privateer“ ist zwar etwas kitschig, ich mag sie aber trotzdem. Verhagelt wird der Song im wahrsten Sinne des Wortes wieder von den Drums. Leider. Danach ist Schunkeltime! Aber RUNNING WILD dürfen das. An Songs wie „Fight The Fire Of Hate“ hat sich Jahre später ja des öfteren eine Kapelle namens HAMMERFALL versucht. Doch ein solcher Stampfer klingt mit Rolf am Mikro einfach deutlich kerniger als mit dem Cans-Vögelchen. Außerdem hat bei „Fight The Fire Of Hate“ die Bridge schon einen zehn mal höheren Wiedererkennungswert als bei anderen Bands der Refrain.
Schade, dass gleich danach „The Phantom Of The Black Hand Hill“ schon wieder ein Tiefpunkt folgt. Doublebass gekreuzt mit Kinderliedmelodie ist nicht so mein Ding. „Freewind Rider“ hingegen funktioniert sofort, vereint alle Stärken der Band in sich und könnte problemlos auf „Blazon Stone“ oder „Pile Of Skulls“ stehen. Ganz im Gegensatz zu „Powder & Iron“, der immer komplett an mir vorbeirauscht. Weiter geht’s im qualitativen Zickzack-Kurs. „Dragonmen“ glänzt mit Galopper-Riff, herrlichen Leads und griffigem Refrain. Definitiv ein Highlight des Albums.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass „Genesis (The Making And The Fall Of Man)“ für viele die Speerspitze des RUNNING WILD-Schaffens darstellt. Die große Qualität des Longtracks stelle ich auch nicht in Frage. An manchen Tagen höre ich den Song auch verdammt gerne. Trotzdem liegen für mich die Stärken der Band klar im bündigen und mitreißenden 4- bis 5-Minüter. Für Longtracks gibt’s andere Bands.
Fazit: Licht und Schatten wechseln sich ab. „Black Hand Inn“ verfügt teilweise über verdammt starkes Songmaterial, schleppt aber auch mindestens drei Totalausfälle mit. Außerdem fehlen mir die Aha-Momente, die Überraschungen, die kleinen sich abhebenden Details, über die die Vorgänger verfügten. Das Schema „RUNNING WILD“ war ja nun schon eine ganze Zeit offensichtlich und mit „Black Hand Inn“ kehrte – zumindest für mich – etwas Langeweile ein. Das achte RUNNING WILD-Album ist für mich das bis dahin auch schwächste.