von Cromwell » 8. MĂ€rz 2013, 16:10
Dave Chandler und Wino Ă€hneln jedes Jahr mehr in Weisheit ergrauten Gurus, die tief in wabenartig ausgehöhlten nepalesischen Bergen esoterroristische tantrische Praktiken vollziehen. Stattdessen bringen sie lieber im inzwischen vierten aktiven Jahrzehnt den Doom auf hiesige BĂŒhnen. "Hiesig" bedeutet normalerweise etwa viereinhalb Stunden Zugfahrt und Ăbernachtung am Bahnhof, gestern hingegen boten sich komfortable Transportmittel mit gĂŒnstigen NachtfahrplĂ€nen.
Allen Regeln der Wahrscheinlichkeit nach musste sich also eine EnttĂ€uschung einstellen, etwa in Form einer sternhagelvollen, lustlosen Band, beobachtet von rund zehn gescheiterten Existenzen vor der BĂŒhne, die mit dĂŒsterem Blick lauwarmes Bier nippen.
Die RealitĂ€t zeigte sich viel familienfreundlicher: HeiĂe Preise fĂŒr gekĂŒhlte GetrĂ€nke, charmant-heruntergekommenes Ambiente (eine Art ehemaliger Festsaal, gepflastert mit linksneigenden oder bandbewerbenden Aufklebern (Favouriten des Verfassers: "The buyable sluts, wanted for stealing virginity", ein Philipp Rösler mit Clownsnase und der Parole "Zum Lachen in den Keller wĂ€hlen" sowie "shitkatapult") und Tourplakaten aus einer langen Clubgeschichte. So stilvoll, dass ich das Flaschenbier lieber mit abgespreiztem kleinen Finger getrunken habe. Nicht, dass einen der zufĂ€llig anwesende alte Adel wegen mangelnder Manieren zur Schnecke macht.
Ăberhaupt, die Anwesenden: Ein starker Kontrast zu AttiC und Screamer, die zwei Tage vorher an anderem Ort aufgespielt hatten. Bei Saint Vitus weniger Kutten, dafĂŒr mehr graue SchlĂ€fen und bequeme Abgerissenheit, vereinzelt sogar mit Tendenz zum speckigen Pullover. Nicht zu vergessen die KrĂ€uterwolken, die vor Konzertbeginn vor dem Eingang waberten.
Wichtiger als Besucher und Bar natĂŒrlich die auĂerordentlichen Gentlemen aus Kalifornien. Da Saint Vitus ihre Setlist innerhalb einer Tour der Erfahrung nach nicht variieren, werde ich keine einzelnen Titel aufzĂ€hlen, sondern nur verraten, dass der Schwerpunkt logischerweise auf der neuesten Veröffentlichung und den Wino-Jahren liegt, mit ein paar Einsprengseln von "Hallow's Victim". AuĂerdem ist ein lange nicht mehr gehörtes StĂŒck von "V" zur AuffĂŒhrung gekommen. Die Band und Wino in Topform, die Balance der Setlist sehr gelungen, Chandler der-wischt mit verschiedenen Körperteilen auf dem Griffbrett wie immer, am Ende dĂŒrfen sich alle zu spĂ€t geboren, durstig und klĂ€glich fĂŒhlen, was will man mehr? AuĂerdem hat uns Wino auf Nachfrage gegen halb eins morgens das Geheimnis zur Erlangung ewiger Jugend mitgeteilt, aber es bestand aus einer hastig auf das T-Shirt irgendeines Typen gekritzelten chemischen Strukturformel. Da er höchstens im Selbstexperiment Chemiker ist, war sie leider ein bisschen ungenau. Vielleicht Dimethyltryptamine.
Im Grunde hat sich nur bewiesen, was bereits auf der Hand lag: Aus den USA gab und gibt es keine bessere Doom Metal-Band.
Hingehen, wenn's beliebt! UnterstĂŒtzt und feiert mit ein paar Szene-Originalen.
Aber nur, wenn im Fernsehen nichts kommt. SchlieĂlich ist bekannt, dass dem Rock'n'Roll mit "Germany's Next Kleiderpuppe" bei Kartoffelchips am besten gehuldigt wird.
Und schon wieder geh'n wir zum Chinesen.