von Neudi » 8. September 2010, 01:41
Ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Was ist heute ein Headliner?
Oft liest man bei der Bekanntgabe von Bands auf den Sommerfestivals "die schon wieder" oder "das ist doch kein Headliner!", falls die Band keine Mega-Ausmaße hat. Und mir kam z.B. das BYH bei Heaven & Hell und im Judas Priest-Jahr voller vor.
Fakt ist: Die Headliner von vor 10, 20 und mehr Jahren sind auch heute noch die zugkräftigen Bands. Maiden auf dem Wacken, Priest beim BYH, Gun´s Roses auf dem Sweden Rock... und bevor irgendwas in die Hose geht, nimmt man lieber die gleichen Bands ein paar Ausgaben später erneut. Das ist nicht die Schuld der Veranstalter, sondern der Plattenindustrie und leider auch der Fans. Die Veranstalter versuchen lediglich ihr Event rentabel zu gestalten und sehen sich gezwungen, nur in den mittleren und kleineren Bandregionen zu variieren. Das dürfte die Fans, die auch das KIT oder HOA mögen oft begeistern, aber ein wenig Angst macht mir das trotzdem. Denn: Es gibt keine neuen wahren Headliner!
Priest beim BYH? Nun...Priest haben mit Rocka Rolla kaum Erfolg gehabt und mit Sad Wings of Destiny ist auch nicht das passiert, was man Erfolg nennen kann. Und was ist passiert? Nach Gull Records haben sie einen Deal bei CBS (heute Sony) bekommen. Ein A&R hat an die Band geglaubt und die Mißerfolge der Vorgängeralben spielten keine Rolle. Und Priest durften sich mit Sin After Sin und Stained Class beim Major austoben, obwohl es bis British Steel dauerte, bis es so richtig kommerziell gekracht hat. Macht 5 Alben und eine Livescheibe, bis der große Erfolg kam.
KIss beim Rock am Ring? Die ersten drei Alben waren allerhöchstens Achtungserfolge und das Label entschloß sich trotzdem eine Doppel-Live-LP zu veröffentlichen, was dann den Erfolg gebracht hat. Denn Rock´n´Roll All Night war in der Liveversion der Hit und nicht die ältere Studioversion.
Beide Bands hätten weder beim BYH noch beim RAR gespielt, hätte die Karriere der Band erst vor 10 Jahren begonnen. Gerade bei den Majors muß es heute gleich krachen, sonst fliegt man raus. Und das in Stufen. Offtopic aber passend: Die Happy waren beim Major. In letzter Zeit ging nicht mehr viel, also hat die kleinere Firma edel die Band übernommen. Im Metal kennt man das aber auch: Verkaufen Bands bei Nuclear Blast nicht die erwünschte Stückzahl, dann finden man die Gruppe mit dem nächsten Release bei Massacre oder AFM wieder. Im Gegenzug greifen die Majors und Quasi-Majors im Metal die Bands ab, die auf kleineren Labels gut verkauft haben (was ja legitim ist).
Fakt ist, daß es eine unglaubliche Kluft zwischen den ganz wenigen "großen Bands" und der zweiten bis zehnten Liga gibt. Und die war niemals so groß wie in den letzten 10 Jahren. Hinzu kommt, daß man sich von den alten Bands aus ganz natürlichen Gründen langsam verabschieden muß. Dio hat uns gezeigt, wie schnell sowas gehen kann und es werden - ganz natürlich - weitere folgen. Sie müssen ja nicht gleich von uns gehen. Ab einem gewissen Alter muß man mit dem Ende von so manchen Bands in den nächsten 5 Jahren rechnen.
Anstatt mehreren neuen zugkräftigen Bands haben wir seit ein paar Jahren hunderte von Mittelklasseacts (rein kommerziell gesehen) und unglaubliche tausende von Bands "die man kennt" oder "den Name habe ich schon mal gehört". Dazu kommen zehntausende Miniacts weltweit, die alle über myspace und andere Kanäle die Welt zuspammen.
Wann wurde das letzte Mal eine Band über mehrere CDs richtig aufgebaut? Mir fällt spontan keine Gruppe und keine Firma ein, die sowas getan hätte, während eine (fast) erfolglose Band wie Budgie von Anfang der Siebziger bis in die frühen Achtziger beim Riesen MCA regelmäßig Platten machen durften - heute VÖLLIG undenkbar.
Viele Nachteile der Achtziger und vorher, sind heute vom Tisch...und haben eben dieses Problem erzeugt! Man war als Band auf das Wohlwollen von einer handvoll Print (!)- Magazine angewiesen. Alle, aber auch alle, lasen diese wenigen Hefte. Wenn man dort durchgefallen ist, hatte man ein ernsthaftes Problem. Heute findet sich immer irgend ein Mag oder ein Onliner, das man in einer Anzeige mit guten Worten zitieren kann. Das ist zwar für die Band toll, aber auch für hundert Andere - bei schmalen Geldbeutel beim Käufer.
Ein weiteres Problem ist die Masse an Bands, die einfach nicht mehr sinnvoll ist. Ich bekomme täglich neue Freundanfragen von Metalbands auf myspace und ich wundere mich nur noch. Wenn jeder selbst in einer Band spielt, dann paßt doch das Verhältnis Bandangebot und Konsumenten nicht mehr? Auch wenn im Metal die Musiker oft Fans bleiben. Jede Stadt hat seine Metalbands. In jedem Proberaumgebäude schraddelt die örtliche Black Metal Band ihre drei bis vier Akkorde runter. Was zum nächsten Problem führt: Cubase, moderne Studiotechnik und die Möglichkeit, im Proberaum oder zuhause aufzunehmen!
Der technische Fortschritt ist in der Theorie nichts Verkehrtes, hat aber dem Metal ganz klar einen Strick gedreht. Früher mußten wir einen Plattenvertrag haben um uns nicht mit einer Eigenproduktion zu verschulden. Es gab ein paar Studios, bei denen schon das Bandmaterial nicht günstig war und -vor allem- wer nicht gut spielen konnte, hat auch ein schlechtes Produkt abgeliefert. Die Spreu trennte sich schon in diesem frühen Stadium vom Weizen, was die Szene gesund bleiben ließ. Viele Bands, die mit einer Democassette einen Deal bekommen haben, wurden bei der Produktion vom Studioinhaber postwenden "zum üben" wieder nach Hause geschickt. Das habe ich in den Neunzigern in Frankenthal (da wurde u.a. Forte, Mystic, Ritual etc. für Massacre aufgenommen) häufig erlebt! Heute ist das aber kein Problem mehr. Da werden die Drums programmiert oder gerückt und ansonsten geschoben und kopiert - bis es paßt und das Resultat wie eine musikalisch gute Band klingt. Und diese Möglichkeit hat nun fast jede Band.
Und das bringt uns zum nächsten Problem: Durch die kostengünstigen Aufnahmemethoden tut es den Bands nicht weh, die fertige CD einem Label zu schenken! Genau, das Label muß das Teil nur noch Pressen und veröffentlichen. Die Bands akzeptieren das (und mehr), nur damit sie eine CD bei einem Label rausbringen können. Viele Labels haben sich bereits daran gewöhnt und sehen es selbstverständlich an, daß es keinen Studiovorschuß mehr gibt. Wenn das genug Bands akzeptieren und mitmachen, ist es auch kein Wunder. Der Labelboss bekommt ja heute einen regelrechten Schreck, wenn eine Gruppe nach Geld fragt. Hat man ja seit Jahren nicht erlebt. Und so wird fröhlich veröffentlicht und irgendwas bleibt dann auch bei dreistelligen Stückzahlen (ja, mehr geht meistens nicht!) hängen. Es gibt heute sogar Labels, die von den Bands verlangen, die Stücke nicht bei der Gema zu melden, nur damit sie diesen Euro pro CD sparen (!). Fazit daraus: Warum sollte eine Firma sich ins Zeug legen, wenn sie mit dem Produkt im Vorfeld keine Kosten hatten, die wieder eingespielt werden müssen? Wenn ein großer Act die Firma wechselt, werden so hohe Vorschüsse gezahlt, daß die Plattenfirma ALLES dran setzt, daß die Scheibe ein Erfolg wird. Sonst gibt es Miese und der A&R wird evtl. gefeuert. Daher werden wir z.B. für Phil Collins in den nächsten Wochen permanent Werbung sehen. Das Ding war halt teuer.
Damit wird klar, warum es schon seit Jahren keine großen Bands im Metal (und auch in anderen Richtungen) mehr gibt. Das war jetzt ein weiter Ausflug bis zu diesem letzten Satz, aber es führt nun mal Eins zum Anderen. Würden die Metallabels ihr Budget in nur 5 anstatt 30 Bands jährlich investieren, dann dürften wir uns auch 2020 auf Headliner im Metalbereich freuen...es wäre eigentlich ganz einfach...
"If you want to be a fucker, zieh die Oma durch de Acker"