@ Cromwell:
Je klarer abgesteckt der Bereich der Kunst ist, in dem man sich bewegt, je größer die Spezialisierung wird und je genauer der Fokus, desto eher sind die Grenzen erreicht, erkundet und kartographiert. Die Beschränkung ermöglicht zwar eine höhere "Auflösung", d.h. alle Feinheiten können ausdifferenziert werden, aber auch diesem Prozess sind durch die endlichen Möglichkeiten menschlicher Kreativität Grenzen auferlegt. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die meisten Ideen, die nicht im Nonsens enden (sechs Stunden lang Tonleitern spielen und Shred-Soli mit Death Metal-Gesang im Hintergrund?), schon zu Papier gebracht wurden.
Nicht eher durch die endliche Anzahl dieser Feinheiten? Mir scheint es sich hier ähnlich zu verhalten wie beim Phänomen der Sprache. Da haben wir ein endliches Inventar an Lauten, die wir zu potentiell unendlich vielen Kombinationen verbinden können, wobei eine (mehr oder weniger willkürliche) Grammatik bestimmt, welche Kombinationen als sinnvoll gelten.
Ebenso bringt die Gedankenwelt des allgemeinen Vertreters unserer Spezies nur einen gewissen Pool an möglichen Themen hervor. Wiederum ist der Nuancierung eine Grenze gesetzt, in diesem Fall nicht durch musikalische Mittel, sondern durch die Sprache. Es gibt nur soundsoviel Wege, zu sagen, dass am Samstag abend Bier fließen wird oder das man Person xy vermisst, nicht wahr?
Das ist leider nicht wahr. Zum einen ist Sprache ein rekursives System, das durch Bezugnahme auf sich selbst prinzipiell unendlich viele komplexe Elemente produzieren kann... man denke hier nur an die Zahlwörter. Das einzige, was uns davon abhält, bis unendlich zu zählen, ist unsere endliche Lebensdauer. Zum anderen ist Sprache ein Organismus, der sich in ständiger Veränderung befindet. Wir haben heute schon ziemliche Schwierigkeiten, zu verstehen, was jemand meinte, der vor 500 Jahren ausdrücken wollte, dass am Samstag Bier fließen wird.
Sowohl im musikalischen als auch im sprachlichen Bereich mag das eine oder andere Genie seinen Kopf aus dem Gedankenschlamm heben und kurz das Neue und Aufregende hervorbringen, aber nach kurzer Zeit wird auch diese Neuigkeit mit Bienenfleiß erkundet und ausdifferenziert, bis sie schließlich dem Altbekannten zugerechnet werden kann.
Praktisch gesehen hast du mit diesem ganzen Abschnitt und vor allem mit dem Fazit daraus natürlich Recht. Da spielen dann solche Dinge eine Rolle wie die Aufnahmefähigkeit des durchschnittlichen Gehirns, das ab einer gewissen Komplexität einfach dicht macht, oder die Tatsache, dass die Veränderungen in der Sprache, auf die ich angesprochen hab, so langsam vonstatten gehen, dass man für unsere Überlegungen getrost darüber hinweg sehen kann. Der kleine Philosoph in mir tickt bei solchen Themen schon mal ziemlich leicht aus ;-)
Das Ziel des Erschaffers eines wie auch immer gearteten Werkes ist die Repräsentation seiner Auffassung von der Welt, ein bisschen wie dieses bekannte Schema aus dem Informatikunterricht in der Schule: Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe. Für diesen Ausdruck ist eine Auswahl aus bereits bekannten Kunstformen vollkommen akzeptabel, solange der Künstler das Gefühl hat, seinen "Punkt" klarstellen zu können. Wenn das nicht der Fall ist, muss er neue Formen suchen oder seine Ideen verfeinern, anpassen, neue Aspekte suchen usw. usf. Life is compromises.
Wer Lieder schreibt und dann die Noten verbrennt oder im Garten vergräbt, ist kein Künstler, sondern betreibt die Musik für Privatvergnügen und vielleicht für emotionale Katharsis. Die Kunst hat natürlich immer zwei Seiten, Ausdruck und Kommunikation, so dass neben dem Künstler namentlich der Rezepient steht, also Leute wie wir, die Musik hören und dann im Internet darüber jammern oder schwärmen. Weil wir nicht in der Haut des Künstlers stecken, bleibt uns natürlich nur die eigene Interpretation dessen, was aus den Boxen quillt, im besten Fall unterstützt durch Aussagen des Künstlers für Klang und Text, die ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Der eine legt die Scheibe nach dem ersten Anhören beiseite, weil die vom Künstler beabsichtigte Wirkung der Lyrik ausbleibt und eine Identifikation nicht stattfindet oder weil das Geklampfe nervt, was auch immer. Einem anderen aber kann das nervige Geklampfe mit den kitschigen Texten die Welt bedeuten. Zwischen diesen beiden Extremen liegt natürlich die ganze Palette an Grautönen, der Punkt ist: Sobald die Kommunikation zwischen Erschaffer und Rezepient glückt, sobald ein Hörer versteht und mitfühlt oder zum Nachdenken angeregt wird, ist das Werk vollständig gerechtfertigt. Ob es nun originell ist oder nicht und ob das Album zehntausend oder drei Leuten gefällt, ist gegenstandslos. Die Bedeutung (nicht im Sinne von Breitenwirkung und Einfluss!) eines Werks bestimmt sich nicht aus der Wahl der Mittel zu seiner Erschaffung oder dem Grad seines Unterschieds zu anderen Werken, sondern aus dem, was es für die beiden Seiten des Prozesses ist.
Alle Daumen hoch dafür! Ich denke, genau so ist es! Vielleicht kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen und die Kunst komplett aus dem Ganzen heraus kürzen. Übrig bliebe dann eine ganz schlichte Kommunikationssituation, die ganz unterschiedlichste Ziele haben mag... trösten, erbauen, erheitern, anstiften zu dieser oder jener Art von Handlung... das Ganze halt in der Sprache der Musik. Für mich wäre es durchaus akzeptabel, anzunehmen, dass die meisten Metal Bands unserer Tage in einem geringeren Maße Künstler sind, als es vielleicht vor 30 Jahren der Fall gewesen ist. Um zu prüfen, ob wir es hier mit einer negativen Entwicklung zu tun haben, müsste man dann herausfinden, ob es Kunst ist, die der gemeine Metal Fan von einer Band erwartet.