von Goatstorm » 30. Juni 2012, 16:02
MANOWAR - The Lord of Steel
„Was hat sich der Autor vorgesetzt? Ist dieser Vorsatz vernünftig und verständig? und in wie fern ist es gelungen, ihn auszuführen?“ (Goethe: Die productive Kritik, 1820).
A) Was hat sich der Autor vorgesetzt?
Eine Kursänderung: Weg von den artifiziellen Hörspielkulissen des überzuckerten Vorgängers „Gods of War“, zurück zu einem direkten Klangbild. Der seichte Wikinger-Pathos amerikanischer Prägung muss einer reduzierten Inszenierung Platz machen. Die Synthieburgen und Drum-Replacer sollen verschwinden, die vier Musiker an ihren Instrumenten wieder Kontur annehmen. Alles Unken über Ballermannisierung und digitalen Talentersatz, das sich sogar inmitten der treuesten Schar der House-of-Death-Taliban regte, soll „The Lord of Steel“ radikal widerlegen. Der klare Vorsatz: Von wegen Drumcomputer und Casioballast – Manowar können noch rocken; wie anno 1996 auf „Louder than Hell“. Oder sogar: wie 1982 auf „Battle Hymns“. Schließlich darf sich auch Donnie Hamzik als drummergewordenes Symbol einer guten alten Zeit wieder beflissen durch die Presse reichen lassen. Aufgepasst! – so die Botschaft – Manowar wollen es noch einmal wissen und es ihren Kritikern mit einem rohen „back to the roots“–Kracher so richtig zeigen. Innovation durch Tradition: „THE LORD OF STEEL blazes with pure power, untamed energy, and a sound as raw and wild as a force of nature.“
B) Ist dieser Vorsatz vernünftig und verständig?
„The Lord of Steel“ ist für Manowar eine Flucht nach vorne. Das ergibt für außenstehende Beobachter tatsächlich Sinn. Der Shitstorm, der auf „Gods of War“ und die Aktionen der letzten fünf Jahre folgte, geht auch an einer Größe wie Manowar nicht spurlos vorbei. Als zu eklatant erwiesen sich die allenthalben aufgetürmten Widersprüche: hier das noch immer ohne erkennbares Augenzwinkern propagierte Selbstbild unfehlbarer Metalgötter. Dort zahllose Epic Fails in Form peinlicher Festivalblamagen, schlechter Liveauftritte und grotesker Außendarstellung. Als sich schließlich sogar die Truesten der Truen verunsichert fragten, wo die Kings of Metal auf „Gods of War“ denn zwischen all den Pop-Arrangements und digitalen Krücken eigentlich den Metal versteckt hatten, begann der Funke der Selbsterkenntnis wohl schließlich auch in Herrn deMaio langsam aber mächtig zu reifen. Das pompös angekündigte Asgard-Saga-Projekt legte man über Nacht ad acta und salbaderte fortan vom rohesten, in-your-face-Album, das man je aufgenommen hätte.
Man kann von Künstlern, die ihr Werk von der öffentlichen Meinung abhängig machen, halten was man will. Aber in Hinblick auf die Stimmung in den Fanlagern ist die Entscheidung zu einem Befreiungsschlag in Form einer drastischen Kurskorrektur aus der ratio der Band heraus nicht falsch. Aus bandpolitischen Überlegungen ist es womöglich der einzig verbliebene Weg, der erdrückenden Negativkulisse mit erhobenem Haupt und blankem Messer zu begegnen. Ob es für die finanziell extrem angeschlagene Band auch ökonomisch vernünftig ist, nicht lieber ein weiteres aufgeschäumtes Pop-Soufflee a la „Gods of War“ hinterher zu schieben und weiter konsequent auf ein Publikum außerhalb der Metal-Szene zu setzen, wird sich zeigen. Eine mutige Entscheidung ist es allemal.
C) In wie fern ist es gelungen, ihn auszuführen?
Eine mutige Entscheidung führt nicht zwangsläufig zu einer mutigen Platte; und vor allem nicht automatisch zu einer guten Platte. So gelingt der angestrebte Befreiungsschlag nur zum Teil. Wenngleich der rohe Sound und die reduzierten Arrangements tatsächlich verblüffen, fehlt Manowar doch die letzte Konsequenz in der Umsetzung. Zu sehr setzt man auf hundertfach gehörte Motive, zu plakativ äfft man die eigene Vergangenheit nach. Offensichtlich ist erneut auch der maximal-klinische digitale Schlagzeugsound, der den verfolgten Ansatz schon von grundauf zunichte macht. Überhaupt: wenig im Klangbild passt zusammen. Roh ist der Sound, keine Frage. Dennoch wirkt „The Lord of Steel“ paradoxerweise artifizieller als alle Alben zuvor. Manowar klingen auf dem Album wie eine Band, die sich in einem Millionen-Dollar-Studio mit modernster Technik darum bemüht, möglichst stark nach einem unverkrampften Proberaum-Jam zu klingen. Das Schlagzeug klingt kalt und klinisch tot, das Drumming selbst ist enervierend monoton und undynamisch. Doch was den Mix endgültig aus der Balance wirft, ist der völlig missglückte Basssound. Obwohl viel zu laut abgemischt und teils sogar die Gitarrensoli erdrückend, fehlt ihm jede Power. Die hohen Frequenzen nerven mit der Frequenz eines Zahnarztbohrers auf Fuzz-Effekt; die tiefen Frequenzen ersticken die komplette Platte in einem dumpf-matschigen Wummern. Vom kernigen Overdrive eines Lemmy-Rickenbackers oder der Bassspuren auf „Hail to England“ ist diese akustische Fehlgeburt Lichtjahre entfernt. Es nervt und bringt die Platte an die Grenzen der Hörbarkeit. Man sieht den ausführenden Mixer förmlich am Ego deMaios verzweifeln. Er weiß, dass der Sound unter aller Kanone ist, muss es aber genau so abmischen, weil deMaio ihn dafür bezahlt (oder auch nicht – wer weiß das schon?). Die Gitarren klingen dagegen stark und hätten wesentlich mehr Präsenz verdient. So bleibt bereits im ersten Klangempfinden ein merkwürdig unfertiger Eindruck, wie von einer Demo-Band, der kurz vor dem finalen Mix das Geld ausging. Wenn man sieht, welche fantastischen Produktionen heute Bands wie Ram, Slough Feg, Portrait, Primordial oder In Solitude ohne große Budgets schaffen, ist „The Lord of Steel“ in Sachen Sound für eine Gruppe mit den Ansprüchen von Manowar ein Armutszeugnis.
Doch das Scheitern an den eigenen Ansprüchen hat fundamentalere Gründe als den unbalancierten Sound. Zunächst die Gitarren. Schaut man nach den dicken Riffs des schnellen Openers „The Lord of Steel“ und der neuen Bandhymne „Manowarriors“ noch verdutzt auf das Cover, ob das nun wirklich Manowar sind, stellt sich spätestens ab Song Numero drei, dem öden „Born in a Grave“ (Sechs Minuten lang der gleiche Midtempo-Drumbeat!), Ernüchterung ein. Alles beim Alten. Riffs Fehlanzeige, dafür reichlich Logan-typische Soli ohne Gesicht, ohne Wiedererkennungswert (aber zum Glück meist durch das Basswummern ohnehin nicht so gut zu hören...). Schade. Der Rhythmusgitarrensound würde ordentlich braten, wenn er denn öfter zu hören wäre.
Vielleicht der zentrale Knackpunkt von „The Lord of Steel“ ist – und das überrascht – ausgerechnet Eric Adams. Gerade die erhabenen, genial-pathetischen Gesangslinien von Eric Adams und seiner unverwechselbaren Stimme waren bis zuletzt sowohl live als auch im Studio der Rettungsschirm, unter den sich deMaio mit seinen immer stumpferen Kompositionen flüchten konnte. Es liegt dabei weniger daran, wie Eric auf „The Lord of Steel“ singt (rauher, dunkler, tiefer, keine Screams), sondern vor allem daran, was er singt. Sogar „Gods of War“ konnte sich dank vieler fantastischer Gesangsmelodien doch noch zumindest in den gelben Bereich retten. Bei „The Lord of Steel“ herrscht dagegen Ideenlosigkeit. Ein paar griffige Hooks hier und da („Manowarriors“, „Touch the Sky“) ansonsten Fehlanzeige. Nichts bleibt hängen. Keine Grandezza, kein Pathos, keine Gänsehautmomente, wenn Eric auf eine wundervoll gesungene Strophe einen noch packenderen Refrain draufsetzt und man sich denkt, wie geil das alles ist. Nichts davon ist übrig auf „The Lord of Steel“. Stattdessen Gebelle, Einfallslosigkeit und Monotonie. Lediglich in der leicht kitschigen Halbballade „Righteous Glory“ darf Erics Talent aufblitzen. Das einzige Lied mit echtem Gesang auf der Scheibe – dem nordisch angehauchten Text nach wahrscheinlich ein Überbleibsel aus der verworfenen „Asgard-Saga“.
Nun könnte man die Platte retten, indem man auf Energie setzt, auf kompakte, knackige Headbanger, die zumindest live mitreißen, oder vielleicht auch auf ein intelligentes Konzept mit interessanten Texten. Nichts von alledem leistet „The Lord of Steel“. Dagegen wirkt vieles unfertig. Vor allem die repetitiven Songstrukturen machen einige gute Ideen zunichte. Während der fetzige Opener „Lord of Steel“ mit seinem unspektakulären Chorus ohnehin ohne großen Erinnerungswert vor sich hin tackert, ist die Planlosigkeit im Songwriting bei „Manowarriors“ eher ärgerlich. Da schafft man auf seine alten Tage tatsächlich noch sowas wie eine echte Mitgröhlhymne und ruiniert sie dann durch ein völlig unpassendes Break und endlose Wiederholungen. Die Vampirstory „Born in a Grave“ nervt allein schon durch ihre Monotonie. Der Refrain ist ganz nett, aber auch hier fällt das Lied doppelt so lang aus, als es die verarbeiteten Ideen vertragen. Das gleiche bei „Righteous Glory“ und vor allem der fast siebenminütigen Schlaftablette „Black List“. Die düstere Grundatmosphäre des Songs wäre eigentlich ganz cool, leider ist der Band nur ein Riff und eine Strophe dazu eingefallen, die dann halsstarrig den ganzen Song über mitgeschleift wird. Auch das passabel groovende „Expendable“ und vor allem das unsagbar dröge Midtempo-Stückwerk „Annihilation“ (schlechtester Manowar-Song ever?) kauen durchschnittliche Ideen vollends zu Tode. Richtig viel Gedanken in punkto Songwriting, Abwechslung, Melodien hat sich hier niemand gemacht. „The Lord of Steel“ wirkt nicht nur uninspiriert sondern auch unfertig. Ein richtiges Ende hat zum Beispiel kaum ein Song. Stattdessen gibt‘s Fade-Outs und endlose Wiederholungen.
Lichtblicke sind der gutgelaunte Hardrocker „Touch the Sky“ und „El Gringo“, das mit den typischen Chören und Glocken auf „Louder than Hell“ gut neben Songs wie „Outlaw“ oder „Number 1“ gepasst hätte. In beiden Fällen reden wir nicht von echten Hits, lediglich von guten Songs, die nicht den Eindruck machen, völlig überhastet eingespielt und veröffentlicht worden zu sein.
Am deutlichsten wird der desolate Zustand der Band am Schlusstrack „Hail, Kill and Die“. Textlich als Bandhymne im Stil von „Blood of the Kings“ angelegt, offenbart das Stück mit seinem mies von „Blood of my Enemies“ abgekupferten Riff, wie weit man von früheren Glanztaten entfernt ist. Da passt gar nichts mehr, länger als 15 Minuten kann die Band an dem Song nicht gesessen sein. Reduktion kann funktionieren – wenn dabei allerdings casiochorunterlegter Stumpfsinn wie „Hail, Kill and Die“ rumkommt, sollen sie sich lieber wieder an Walhalla-Opern vergreifen.
A propos Stumpfsinn: man erwartet ja von Manowar seit spätestens „Louder than Hell“ keine Bachmann-Preis-Lyrik mehr, aber was „The Lord of Steel“ in Sachen Text bietet, spottet jeder Beschreibung. Hier kippt eine bislang zwiespältige Scheibe mit guten Ansätzen vollends ins Ärgerliche. Dreist aus der eigenen Bandhistorie gesampelte Fragmente wechseln sich ab mit Knittelversen von der Anmut eines Containerschiffes. Zeilen wie „Never gonna change our style, we‘re gonna play tonight for quite a while“ (aus: „Manowarriors“), verfügen über eine Ausdruckstiefe wie das Gesicht eines Schwachsinnigen. Vogonische Dichtkunst in Reinkultur. Jeder einzelne Text schreit dem Hörer entgegen: „Wir hatten keine Zeit und Lust, uns Gedanken zu machen! Aber nach fünf Jahren mussten wir einfach was veröffentlichen, um an Eurer Geld zu kommen!“ In Worp 9 rast deMaio an den Asgothen von Kria und Paula Nancy Millstone-Jennings aus Greenbridge, Essex, vorbei, um sich die Lorbeeren für die schlechteste Dichtkunst im Universum zu sichern: „In the nights, We take flights, Witness the sites, The power and glory of steel“. Doch nirgends öffnet sich das rettende Ventil einer ironischen Brechung, die den Dickdarm der Hörer daran hindern würde, sich durch den Hals nach oben zu stülpen und deren Gehirne zu erwürgen.
Stückwerk im Songwriting, Ideenlosigkeit, Monotonie, katastrophale Texte, misslungene Produktion. Da fällt es schwer, die guten Ansätze entsprechend zu würdigen. Dabei gäbe es ja einige: der Refrain von „Born in a Grave“ zum Beispiel. Oder das treibende Grundriff von „Manowarriors“. Oder die wunderbaren Melodien in „Righteous Glory“. Oder positive Drive von "Touch the Sky" (der perfekte Sommer-Rocker für die Autobahn). Oder das nett rockende „El Gringo“. Oder die fiese Grundidee des zäh-kriechenden „Black List“. Wenn nur nicht jede Idee ad nauseam wiederholt würde. Wenn das Songwriting nicht wie gewürfelt wirkte. Wenn die Songs nicht in einem Brei aus Bass und Digitaldrums erstickten. Dann, ja dann, könnte man tatsächlich von einer gelungenen Überraschung sprechen. Kein Highlight in der Band-Discographie, aber doch ein Schritt in die richtige Richtung. So aber dümpeln Manowar trotz Kehrtwende noch immer im gewohnten Brackwasser aus kreativem Burnout und egomanischer Selbstinszenierung.
Was bleibt ist ein zerrissenes, zwiespältiges Album mit vielen guten und richtigen Ansätzen, aber mit noch mehr verpassten Chancen; musikalisch am ehesten zu beschreiben als eine B-Seiten-Sammlung der Platten „Louder than Hell“ und „Warriors of the World“, die es nicht über Demostatus geschafft hat. Trotz der erwähnten Stärken – nach fünf Jahren beispiellosen Getöses liefern Manowar mit „The Lord of Steel“ Stückwerk ab. Überwiegend kaum mehr als Durchschnitt, wenige Ausreißer nach oben, dafür etliche Momente mit Tendenz zum ausgewachsenen Ärgernis. Kreativität sieht anders aus.
Da eine Manowar-Kritik ohne Metakritik gar nicht mehr möglich ist, zuletzt noch: es ist verblüffend, wie ein nicht unbeträchtlicher Teil der Fanschar und Rezensenten der Band die Versäumnisse des Albums als Mut auslegt und offenkundige Schwächen ignoriert. Gerade weil Songs wie "Hail, Kill and Die" ganz offensichtlich den Bezug zu älteren Scheiben suchen, müsste doch eigentlich deutlich werden, wie weit die Band von ihrer einstigen Qualität inzwischen weg ist. Stattdessen werden Kritiker mit quasireligiösem Eifer in Frage gestellt, während sich Metalgod Joeys Altar noch immer in Weihrauchdunst hüllt. Aber wie schrieb schon Robert Musil 1922: „In Zeiten der Pleite bevorzugt die Seele das Jenseits; man kann es ihr nicht verdenken.“ Daher: ich freue mich für jeden, der in der Platte die Offenbarung sieht. Allein verstehen vermag ich's nicht.
Sblood, thou stinkard, I’ll learn ye how to gust … wolde ye swynke me thilke wys?