von Raf Blutaxt » 12. Oktober 2015, 21:10
LUCIFER WAS - "Dies Grows"
Meine Wahl fällt ebenfalls auf ein Album aus dem letzten Jahr, das ich erst kürzlich kennengelernt habe. Nachdem ich durch Boris The Enforcer auf die Norweger aufmerksam gemacht wurde, habe ich mir im letzten Jahr alle Alben von LUCIFER WAS zugelegt, aber völlig übersehen, dass die Truppe ein neues Album aufgenommen hatte. Kommunikation wird bei den Herren nämlich eher klein geschrieben, man lässt die Musik lieber für sich sprechen. Leider riskiert man dabei, dass diese kaum jemand hört, was unglaublich schade wäre. Also nun "Dies Grows": Nachdem man bereits auf "The Crown Of Creation" mit einem Orchester experimentierte, werden auch hier wieder opulente Orchestrierungen, allerdings aus der Konserve, mit dem progressiven Rock der Band kombiniert. Darüber hinaus darf natürlich auch die Querflöte nicht fehlen, die meisterhaft mit rockigen und orchestralen Elementen verwoben wird.
Los geht es mit 'Afterlife', dessen erste Akkorde schleppend und doomig daherkommen, die BLACK-SABBATH-Vergleiche, die immer wieder zum Sound der Norweger gezogen werden, treten hier zu Tage, bevor sich alles mit dem Einsetzen der Querflöte und einer lässigen Orgel in die Strophe bewegt. Diese ist dann klar die Bühne des überragenden Sängers, der viel Theatralik in seiner Stimme trägt und den schrägen Text zum Besten gibt. "Is There an Afterlife? Or Is There An Afterdeath?" - Eine Frage, die man sich schon mal stellen kann und die nicht abschließend beantwortet wird. Stattdessen ein tolles Gitarrensolo, mehr Querflöte und das alles in dieser tollen, raumgreifenden Produktion, so als wäre dies eine Aufnahme aus einem Theater oder Opernhaus.
Nach diesem ausladenden, epischen Einstand geht es deutlich energischer weiter. 'The Devil Is The Boss Animal' macht teuflisch viel Spaß, das Eingangsriff kracht ordentlich ins Gebälk (ordentlich für progressiven Rock, nicht für Thrash oder Death Metal) und der Bass pumpt. Selbst eine Doublebass hat sich hier eingeschlichen und das Stakkato und die Steigerung zum Refrain hin, zusammen mit der lässigen Intonation wecken Erinnerungen an die 70er und ihre großartigen Alben. Die Gitarre soliert entfesselt und ich ertappe mich unweigerlich dabei, wie ich "The Devil Is The Boss" vor mich hinsinge. Abwechslung wird hier groß geschrieben und nachdem der Opener die Schöpfungskrone in seiner DNA nicht verheimlichen konnte, klingt hier die rockigere Seite von "Blues From Hella" oder auch "The Divine Tree" durch.
Nun wird es relaxt, Orgel, akustische Gitarre, sogar ein Piano, alles wird auf Lunge und auf den Blues getrimmt. Da kann der Sänger wieder brillieren, was er dann auch mit viel Gefühl tut. Nochmal möchte ich die tolle Produktion herausstreichen. 'Crazy World Turns To Me' entwickelt sich zur ganz großen Powerballade mit epischem Orgeleinsatz und URIAH-HEEP-Flair. Nach Hinten raus wird es sogar noch schön stampfend, während die Gitarre mächtig aufheult. Besonders schön auch, dass sich die Band nicht vor den großen Melodien scheut, die heute so selten geworden sind.
Und wer dachte, dass nach diesem famosen Eröffnungstrio das Pulver der Band verschossen sei, der sieht sich getäuscht und zwar so richtig. 'I'm Cornered' ist ein überragender Hit, der mit einer Ohrwurmmelodie nach der anderen, virtuosem Querflöteneinsatz und der Theatralik sozusagen JETHRO TULL, Musical und den Stadionrock verbindet. Das muss man gehört haben und kann man eigentlich nicht schlecht finden.
Danach kommt uns die Band ganz nahe, intim wird es mit akustischer Gitarre und Piano, ich erwähnte ja bereits, wie fantastisch der Gesang ist und das bleibt hier genauso. Dieses Stück ist im besten Sinne des Worts poppig und lässt einmal mehr die 60er und 70er auferstehen. Wenn dann die Flöte dazukommt, dann wird es so richtig emotional und einfach schön.
Nach kurzer Zeit ist 'I Am Outside' dann aber auch schon vorbei und mit 'Glass Shoe' geht es rockiger und energischer weiter. Alleine aus diesem Lied könnten sich 90% aller Retro- und Okkultrocker der neuen Generation so viel abschauen, was Komposition, Atmosphäre und Musikalität angeht, es ist schlicht beeindruckend, wie LUCIFER WAS hier im Vorbeigehen quasi ein ganzes Genre in seine Schranken verweist.
Und dann kommt der ganz große Hit des Albums, 'Silver Spoon' mit grooviger Strophe, beinahe schon Sprechgesang, fantastischem Refrain und einfach allem, was ein guter Song mit viel Abwechslung braucht.
Das hört sich jetzt vermutlich etwas eintönig an, ich lobe Song nach Song und doch kann ich nicht anders, "Dies Grows" packt mich mit jedem Ton, schwache Momente kann ich nicht ausmachen und so nimmt auch das Schlusstrio aus 'From Behind Everybody Is Blind', dem Titelsong und 'Yellow House' seinen Platz in meinen Ohren und meinem Herzen ein.
"Dies Grows" präsentiert LUCIFER WAS in bestechender Form und bündelt alle Stärken der Band. Ich bin restlos begeistert und hör das Album jetzt einfach noch zwanzig Mal, bevor ich wieder zum musikalischen Alltag zurückkehre.
The people united can never be ignited.