von The-Aftermath » 19. Juni 2019, 21:14
Wenn mich an Musik-Diskussionen etwas stört, dann sind es unkritisch wiedergekäute Einschätzungen zu bestimmten Alben, die irgendwann zu etablierten „Fakten“ werden. In diesen Fällen basiert die Kritik nicht auf der eigenen Auseinandersetzung mit der Musik, sondern auf der Copy/Paste-Wiedergabe von Allgemeinplätzen. So liest man oft, dass THIN LIZZYs „Thunder & Lightning“ deren „Heavy Metal“-Album sei, obwohl das gute Stück genau einen schnellen Titel besitzt, während der Rest die Band von ihrer gewohnt melodischen Seite zeigt. Zu IRON MAIDEN fällt vielen ein, dass die Alben mit Blaze Bailey „unhörbar“ seien. Selbst angehört hat man sich die beiden Alben aber nie, man weiß ja bereits Bescheid. In der gleichen Art und Weise werden Alben schon im Vorfeld in bestimmte Schubladen gesteckt. Viele Veröffentlichungen sind oft „Comeback“-Alben, obwohl die gleiche Einschätzung bereits über den (im Endeffekt doch enttäuschenden) Vorgänger geäußert wurde, siehe SAXON. So markiert die (durchaus sehr starke) „Inferno“ von MOTÖRHEAD deren „xten Frühling“, während die eigentlich genau so gute „Motörizer“ in der Bewertung abfallen muss, damit man beim Nachfolger wieder von der „Rückkehr zur Form“ schreiben kann. Detaillierte, gut begründete Auseinandersetzungen mit der Musik sind dagegen selten, was angesichts der gegenwärtigen Veröffentlichungsflut wenig überraschend ist.
Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Album von (THE LORD WEIRD) SLOUGH FEG. Fünf Jahre nach „Digital Resistance“ muss es sich doch um die erwartete „Rückkehr“ zur alten Form handeln! Versprechen es so nicht die Vorab-Besprechungen, die Pressemeldungen und nicht zuletzt die Band selbst? Bevor man das Album fünfmal gehört hat, hat man somit schon eine kompakte Beschreibung zur Hand, das Review schreibt sich wie von selbst: wieder „metallischer“, „härter“, deutlich besser als zuletzt. Aber ist analog zum Cover bei den Underground-Legenden aus San Francisco wirklich wieder alles im grünen Bereich? Meiner Meinung nach sind die Vorschusslorbeeren in diesem Fall – leider! – verfrüht.
Nun will ich niemandem, der „New Organon“ abfeiert, unterstellen, er habe sich nicht lange genug mit der Musik auseinandergesetzt oder irre sich gar! Aber einige der (überaus positiven) Kritiken haben mich doch irritiert, denn das Album kann in meinen Ohren nicht an die Qualität der Alben vor „Digital Resistance“ anknüpfen. Wenn es um SLOUGH FEG geht, scheint es leider Usus geworden zu sein, neue Alben mit einem bequemen „klasse wie immer“-Kommentar abzustempeln. Die Band genießt mittlerweile etwas mehr Aufmerksamkeit als noch vor zehn Jahren, doch eine richtig intensive Auseinandersetzung mit der Band vermisst man in vielen Teilen der Szene nach wie vor. Vielmehr sind Mike Scalzi & Co. immer noch die Kauz-Exoten, von denen man nun endlich Kenntnis genommen hat, sie aber auch ganz schnell wieder unter „ferner liefen“ einordnet, damit man sich wieder über SABATON streiten kann.
Problematisch daran ist, dass die herausragende Qualität der Band-Diskografie dadurch relativiert wird. „Digital Resistance“ und „New Organon“ liefern eben nicht „gewohnte“ SLOUGH FEG-Qualität ab, und man sollte dies auch im Sinne der restlichen Diskografie hervorheben! Man ist es SLOUGH FEG in gewisser Hinsicht schuldig, dass man sich – analog zum philosophischen Inhalt des Albums – ihrem neuen Werk kritisch nähert. SLOUGH FEG sind keine gewöhnliche Band, und mit ihren bisherigen Veröffentlichungen haben sie selbst extrem hohe Maßstäbe gesetzt, und dies sollte man – so paradox es klingt – dadurch anerkennen, dass man die Schwächen von „New Organon“ betont. Letztens hat ein User die berechtigte Klage geäußert, dass SLOUGH FEG immer noch in die „Kauz-Ecke“ gesteckt würden und dies potenzielle Hörer vergraulen würde. Das stimmt, denn das „Kauz“-Label lässt einen an rumpelige Keller-Produktionen mit untalentierten Sängern und schlecht gemalten Covern denken. Insofern ist es gerade bei SLOUGH FEG wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass ihre Alben nur deshalb als „kauzig“ eingestuft werden, weil sie eine sehr eigenständige Form des klassischen Heavy Metals bieten, und das mit einer Souveränität und Konsequenz, die Anhängern von Napalm Records-Bands nur unzugänglich und schrullig erscheinen kann. Dabei haben und hatten SLOUGH FEG immer mehr mit IRON MAIDEN und THIN LIZZY gemeinsam als mit MANILLA ROAD und CIRITH UNGOL.
Warum kann „New Organon“ nicht an die bisherige Diskografie anknüpfen? Der Bruch mit „Digital Resistance“ ist harmloser, als es der raue Opener „Headhunter“ (eine Neuaufnahme aus frühen Demotagen) suggeriert. „Digital Resistance“ ließ damals vor allem die typische SLOUGH FEG-Exzentrik bei Riffs und Gitarrensoli vermissen. Viele Songs basieren auf (verhältnismäßig) simplen Hard Rock-Riffs, wilde Gitarrenabfahrten wie auf „Ape Uprising!“ sucht man vergebens. „Keltische“ Elemente sind weiterhin vorhanden, doch wurde der Epik-Faktor deutlich zurückgefahren. Das Tempo wird nur noch selten angehoben. Das achte Album „The Animal Spirits“ von 2010 wird in dieser Hinsicht oft unterschätzt, da gerade der Mittelteil eher gemächlich daherkommt. Aber im Vergleich zu „Digital Resistance“ gibt es noch allerhand SLOUGH FEGsche Exzentrik zu entdecken, selbst in den Midtempo-Stücken flirren die Gitarrenmelodien hin und her, der Gesang Scalzis ist ausdrucksstark und die Abwechslung im Songwriting immens.
„New Organon“ setzt in Sachen Sound und Songwriting eher wieder bei „Ape Uprising!“ an, doch fehlt ein entscheidender Unterschied. „Ape Uprising!“ klang ebenfalls spröde und metallisch, doch die kurzen Songs wurden durch die genialen Instrumentalpassagen entscheidend aufgewertet. Auch teilten „Atavism“, „Hardworlder“, „Ape Uprising!“ und „The Animal Spirits“ eine jeweils einheitliche Atmosphäre, jedes dieser Alben hat einen eigenen Charakter, der durch das Artwork abgerundet wird. „New Organon“ klingt hingegen wie eine Ansammlung von Songs aus unterschiedlichen Sessions (was sie ja tatsächlich auch sind), die teilweise nur zur Hälfte ausgearbeitet wurden.
So klingt das behäbig vor sich hin riffende „Discourse On Equality“ sogar für SLOUGH FEG-Verhältnisse erschreckend schief, während „Being and Nothingness“ und „Sword Of Machiavelli“ so abrupt enden, dass sie nicht spontan, sondern unfertig wirken. Auch „Uncanny“, bei dem in Sachen Riffs endlich wieder das Gaspedal durchgedrückt wird, klingt eher wie eine Riff-Collage im Demostadium, das auf keinen hörbaren Höhepunkt zusteuert. Dass Bassist Adrian hier den Gesang übernimmt, hilft dabei nicht, denn dadurch wirkt der Song noch mehr wie ein Fremdkörper, auch wenn er musikalisch eigentlich das Zeug zum Highlight hätte. Das schnelle „Being and Nothingness“ bietet massig Twin Gitarren, doch klingen sie im Vergleich zu früheren Alben fast zahm, wie vom lahmen letzten DEAD LORD-Album importiert aber eines echten SLOUGH FEG-Abrisses unwürdig. Mit „Coming of Age in the Milky Way“ wird es wieder etwas melodischer, doch die Qualität eines „Second Coming“ erreicht man damit nicht. Bleiben somit noch das wirklich tolle „The Apology“ und das schöne „Exegesis – Tragic Hooligan“. Ersteres erinnert an „Eumaeus the Swineherd“ von „Atavism“, doch der Sound ist wieder „mittelalterlicher“. Im Grunde könnte der Song von WYTCH HAZEL stammen, doch statt einem mittelalterlichen Barden spielt hier ein primitiver, keltischer Krieger im Blutrausch auf. „Exegesis“ erinnert an die tolle Ballade „Man Out Of Time“ und lässt das Album zusammen mit „The Cynic“ mit jeder Menge THIN LIZZY-Vibes („Black Rose“) ausklingen. Wäre da nur nicht die schwache Produktion von „The Cynic“, das aus einer anderen Session stammt, und die eher unspektakulären Refrains. Immerhin: Der Titeltrack ist ein SLOUGH FEG-Track aus dem Bilderbuch; mächtig, wild, aufbäumend.
Ist „New Organon“ somit nach fünf Jahren eine Enttäuschung? Für mich - gemessen an ihren eigenen Maßstäben - ja. Die Band klingt trotz der langen kreativen Schaffenspause immer noch ähnlich müde und zahm wie auf „Digital Resistance“. Natürlich werden auch SLOUGH FEG nicht jünger. Aber es muss nicht nimmer so rasant wie auf „Sky Chariots“ zugehen, wie sie mit dem folkigen Geheimtipp „The Animal Spirits“ bewiesen haben. „New Organon“ klingt zwar wieder rauer, aber auch uninspirierter. Die Chance, den eigenen Status als einer der besten traditionellen Metal-Bands seit den Achtzigern zu zementieren, haben Scalzi und Co. diesmal vergeben. Werden sich die meisten Bands an „New Organon“ dieses Jahr trotzdem die Zähne ausbeißen? Davon könnt ihr, und da wären wir wieder bei Allgemeinplätzen, ausgehen!
Trust in fate and have no fear.