Annum Metallum MMVIII
Dass es zehn statt zwanzig
Alben hierhin geschafft haben sagt einiges aus über den Stand der metallischen
Dinge aus meiner Sicht. Subjektivität rules, wie immer: wer auf old
school Thrash oder Doom steht, hat das Metaljahr 2008 bestimmt ganz
anders erlebt. Dennoch werden auch unverbesserliche Alleshörer festgestellt
haben, dass wieder viel zu viele Tonträger erschienen sind, aber selten der
erhoffte Funken rüberspringt. So, without further
ado…
Die oberen 10
(N.B. Nach dem dritten Platz ist die Reihenfolge eigentlich so gut wie
austauschbar.)
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Warrel Dane
– Praises to the war machine
Wieder liess der Nevermore-Mann sich nicht zu einem Sanctuary-Reunionskonzert
überreden, lieferte dafür aber sein erstes und gleich
fantastisches Soloalbum ab. Melodien, die sich gleich ins
Gehirn hineinfressen, fest im traditionellen Bereich verwurzelte Riffs, zutiefst
melancholische Texte die keiner ausser Warrel so schreiben könnte. Dieses Album
kommt aus dem Herzen und enthält Fegefeuer wie ‘Equilibrium’ und das
brillante Paul Simon-Cover ‘Patterns’.
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Shadowkeep
– The hourglass effect
Nach jahrelanger Wartezeit ist die rundumerneuerte britisch-amerikanische
Powermetal-Allianz zurück mit einem messerscharf produzierten
Sci-Fi-Konzeptalbum auf dem es ausschliesslich schlüssig komponierte und
hervorragend arrangierte Perlen zu hören gibt. Wäre diese
Scheibe anno 1988 und auf Vinyl erschienen, hätte sie heute den Klassikerstatus
inne.
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Mindwarp Chamber
– Delusional reality
Was
könnten die diversen Exen von Slauter Xstroyes, Winterkill und Syris wohl anders
fabrizieren als technischen US-Metal der Extraklasse? Einmal mehr sieht man dass
ehrliche und fesselnde Musik meistens eine Undergroundangelegenheit ist, denn in
einer gerechten Welt gäbe es Delusional reality, wie Bier und Currywurst,
an jeder Strassenecke zu kaufen (mit professionellerem Cover, versteht sich).
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Pharaoh –
Be gone
Es hat gedauert bis
ich mich mit dem dritten Album der US-Pharaonen anfreunden konnte, aber nach
mehreren Monaten (!) hat es dann doch noch ‘klick’ gemacht. Zwar treibt Tim
Aymar es manchmal Hansi Kürsch-mässig weit mit den heiseren Screamvocals und ist
es vor allem wegen dem Mix anstrengend, sich das Werk am Stück anzutun, aber man
kann sich an den detailverliebten Songs und dem sagenhaften Axework einfach kaum
satt hören.
5.
Battleroar –
To death and beyond
Auch auf Cruz del
Sur, auch das dritte Album – und Battleroar wollen es diesmal richtig wissen.
Von den Songs bis zur Produktion ist auf diesem
Vorzeigeteil alles hellenisches Gold was da glänzt.
Marco Concoreggis Vocals kommen besser denn je und mit ‘Oceans of pain’ und
‘Hyrkanian blades’ werden Epicträume wahr.
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Enforcer
– Into the night
Wie erwartet und im
letzten Moment: der Launemacher 2008 in Sachen old school
Scandimetal on
speed. Tracks wie ‘On the loose’ gehen so gut
runter wie ein kühles
blondes Pils im
Hochsommer.
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Portrait
– Portrait
Auf dem Portrait-Debüt aus dem Hause Iron Kodex feiert man genau
die Art von obskurem Metal die es laut Geschmackspolizei
eigentlich besser nie hätte geben sollen. So soll es
sein! Der kranke Svennefelt-Gesang prägt ein letztes mal
die töften Töne aus Schweden.
8. Order of Nine – A means to know end
Spät ergattert und
trotz mittelprächtigem Drumsound früh liebgewonnen: der dritte Streich der
US-Senkrechtstarter die in 2008 ihren Ex-Gitarristen Michael Cicitt zu Grabe
tragen mussten. Der Metal ist etwas – oh je - proggiger als die Jungs ihn noch
auf ihren ersten zwei Alben verewigten, aber noch immer fesselnd.
Paradebeispiel: der Track ‘In the know’.
Wichtig: der Abnutzfaktor bei dieser Band liegt bei gleich null.
9.
Wicked Waltz –
Chapter 1
Wider den Hoffnungen
leider kein vollständiges Album, sondern eine EP mit vier Songs. Die haben es
aber in sich. WW stehen für bombig produzierten
US-Metal mit Keys und edlem Gesang. Hoffen wir auf weitere Glanztaten. ‘My last
wish’ ist der herrlich schwermutige Melodic-Hammer dieser Eigenpressung aus den
US of ObamA.
10.
The Devil’s Blood
– Come reap
Auch nur eine EP, aber
auch eine die vollends zu überzeugen vermag. Schlüssig komponiert, fein
arrangiert und atmosphärisch-doomig umgesetzt, der heavy Okkultrock der
NL-Formation um den ex-Powervice-Gitarristen Selim Lemouchi. Oberknaller: der
letzte Song ‘Voodoo dust’, deren Gitarrenleads gar erinnern an ‘Into the
everflow’ von Psychotic Waltz.
Her mit dem alten Zeug! - Jahrgang 2008
Ashbury, Omega Point, False
Witness, Militia, XINR, Fatal Violence, Dead Calm, Enchanter, Hellhound,
Manifest, Merlyn und jede Menge altes Heavy- und Psychzeugs.
Non-Metal-Nachkauf des Jahres
Nolwenn Leroy
– Histoires naturelles Live 2006 DVD
Da schmilzt doch jeder Kerl
– und das eine oder andere Mädel - dahin wenn die französische Sangesgöttin
Nolwenn, barfuss über die Bühne tänzelnd, solch verträumte Lieder bringt wie
‘Mystère’ oder ‘Mon ange’. Das genial-rockige Kate Bush-Cover ‘Running up that
hill’ haut mich immer wieder um.
Bücher 2008
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Patrick Modiano – Dans le café de la
jeunesse perdue
Mein Lieblingsautor veröffentlichte – eigentlich schon Ende 2007, aber was
soll’s - einer seiner schönsten und traurigsten Romane. Werdegang einer
geheimnisvollen Aussenseiterin im Paris der frühen Sechziger.
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Sven Regener – Der kleine Bruder
Dünner als Neue Vahr Süd, aber trotzdem wieder voll der Lehmann.
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Don & Petie Kladstrup – Champagne
Die
von einem amerikanischen Autorenpaar flott geschriebene Geschichte der oftmals
fast total zerstörten französischen Region und ihrem patentierten Edelgetränk.
Liest sich wie ein Abenteuerroman.
Kino 2008
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Caos calmo
/ Stilles Chaos (Italien 2007) von Antonello Grimaldi.
Melancholische
Romanverfilmung nach Sandro Veronesi, über ein Witwer der sich nicht mehr in
seinem Alltag zurechtfindet. Mit Nanni Moretti, der mal nicht nervt, sondern den
Zuschauer richtig zu rühren weiss.
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Vratné lahve /
Leergut (Tschechei 2007) von Jan Sverák.
Herrlich optimistische Komödie über einen rebellischen Lehrer der in Rente geht,
aber partout nicht zuhause rumsitzen will: er bewerbt sich in einem Supermarkt
für den Posten am Leergutschalter, bekommt den Job und amüsiert sich köstlich.
Hauptdarsteller Zdenek Sverák ist der Vater des Regisseurs.
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In Bruges /
Brügge sehen… und sterben? (Grossbrittanien/Belgien 2007) von Martin
McDonagh.
Das Kino-Regiedebüt
des Dramaturgen McDonagh ist ein hervorragend inszeniertes und fotografiertes
Meisterstück über zwei Auftragskiller in Brügge. Politisch inkorrekte Dialoge
en masse und ein tragisches, bluttriefendes Finale.
Mit Colin Farrell und Brendan Gleeson.
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Un secret /
Ein Geheimnis (Frankreich 2007) von Claude Miller.
Tieftraurige
Romanverfilmung nach Philippe Grimbert, über eine unmögliche Liebe im geteilten
Frankreich des zweiten Weltkrieges. Mit Patrick Bruel und Cécile de France.
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Aanrijding in Moscou
/ Neulich in Belgien (Belgien 2008) von Christophe van Rompaey.
Ganz liebenswerte
romantische Komödie über einen winzig kleinen ‘Autounfall’ der eine fesche
alleinerziehende Mutter und einen LKW-Fahrer mit grosser Klappe zusammenbringt.
Ein Feuerwerk an witzigen Dialogen. Darstellerin Barbara Sarafian spielt die
Frauenrolle des Jahres.
In memoriam:
Jules Dassin, Weltbürger und Regisseur extraordinaire (1911-2008)
Bleibt zu vermerken, dass
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es mit den Alben
von Watchtower und Heathen wieder mal nix wurde.
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die Finanzkrise einmal mehr belegte wie
krank und pervers die Konsum- und Managergesellschaft ist.
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die Geisteskranken der Koran World Terrorist
Industries Inc. weiterhin ihren Weg verfolgten. Sollen sie doch in ihrem
eigenen Privatmittelalter verrecken.
Bleibt zu hoffen dass
in
2009 hörenswerte Werke erscheinen von Crescent Shield, Hierophant, Anvil Chorus,
Portrait, Ancient Cross, Heaven and Hell, The Devil’s Blood und Vanderbuyst (und
wer weiss, vielleicht erblickt das Powervice-Album ja doch noch das Licht der
Welt).
Lasset uns alle schön
undergroundig weiter metallieren in 2009 und: soyons sages, les
enfants.
(c)2009, Oliver Kerkdijk