The Gathering - Live
Amsterdam, Paradiso; 16.4.1999
Die Kulisse für einen Abend mit The Gathering stimmte
optimal, denn Anneke van
Giersbergen und ihre Space-Rocker in der konvertierten Kirche Paradiso zu
erleben, hat immer etwas magisches.
An diesem regnerischen Freitagabend pilgerten alle aus Amsterdam und
naheliegender Provinz die Musikgeschmack vorweisen können (hähähä) also gen
Heilighaus Rock um die zweifellos originellste Band Hollands zu verehren.
Für viele Metalfans sind The Gathering ein abgehaktes Thema;
ihre Musik hat
sich dermassen von dem traditionellen Gitarrensound entfernt, dass wir es
tatsächlich mit einer fast neuen Band zu tun haben.
Nun bin ich wohl der letzte, der auf "Weiterentwicklung" steht (wir wissen
was damit normalerweise gemeint ist: exit Metal, enter Sandmännchen), aber
diese Gruppe aus dem südlichen Brabant, mit der Ausnahmesängerin und den
grossen kompositorischen Fähigkeiten, wäre ohne diese krasse Wandlung
bestimmt den kreativen Tod gestorben. Mag sein, dass sie sich 1999 A.D.
über Metal eher negativ äussern, aber es war nur eine Frage der Zeit (der
Abgang eines Gitarristen hat da ein wenig nachgeholfen), bis die Band
erkennen wurde dass man "Mandylion" nicht jedes Jahr neu einspielen kann
und muss, nur weil man aus der Metalszene stammt.
Ich habe The Gathering in fast allen Phasen ihrer turbulenten
Karriere live gesehen und kann nur froh darüber sein, dass sie den Mut hatten,
etwas zu
machen dass einfach besser zu ihnen passt. Die Stimme Annekes will einfach
auch für etwas anderes als Metal verwendet werden; ist zwar nett, zum x-ten
Male "Strange machines" zu spielen, aber ehrlich gesagt bete ich immer, dass
mal wieder die himmlische Piano-Ballade "Shrink" ausgepackt wird.
An besagtem Freitagabend wurde der Song nicht gespielt. Dafür gab es aber
vor prall gefülltem Hause ein Konzert dass sich nur als märchenhaft
beschreiben lässt.
Zum "Major Tom"-Intro gab es eine spacige Lightshow und die vier Jungs
nahmen ihre Positionen ein. Applaus. Aber es fehlte noch jemand; warte,
gab's da nicht noch eine zierliche Sängerin mit grosser Stimme...?
Applaus, Jubel und das lautstark von den männlichen Fans zum besten
gegebene "An-ne-ke! An-ne-ke!" liessen keinen Zweifel darüber bestehen mit
wem wir an diesem Abend im Raumschiff sassen und über der Erde schweben
wurden.
"Frail (you might as well be me)", "Red is a slow colour",
"Liberty Bell",
"Strange machines", "Nighttime birds", "My electricity" (in
einer noch
schöneren Fassung als auf Platte); Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt. Die
Hintergrundprojektionen (mit Saalbildern, Auszügen aus 2001 A SPACE
ODYSSEY), Lichter und Laser verwandelten die Kirche in genau jene Raumfähre
die man sich vorstellt wenn man sich zuhause per Kopfhörer mit "How to
measure a planet?" auf Reisen begibt. Der Sound im Saal war zudem astrein,
so dass man jede Note aller Instrumenten, Annekes magische klare Stimme
inklusive, in jedem Moment klar raushören konnte - bei solch komplexer
Musik eine Voraussetzung.
Anneke - in einem glitzernden Minikleid und mit Dreadlocks - brauchte sich
in den härteren, gitarrenorientierten Stücken nicht zu überschreien. Sie
sang konzentrierter und wirkte selbstbewusster als noch auf der "Nighttime
birds"-Tour vor zwei Jahren. Nur Respekt!
Rene Rutten hatte die Gitarrenparts diesmal alleine zu bewältigen und dies
gelang dem bescheidenen Mann nicht nur, er wusste mit den vielen Feinheiten
in seinem Spiel schlichtweg zu glänzen. Wo andere eine Armada an Effekten
brauchen und oft noch den Clown spielen möchten oder den Rockstar
raushängen lassen, hat Rene ohne jeglichen Firlefanz alles fest im Griff.
Die Blicke der Zuschauer (nicht nur die der männlichen) waren fast während
des gesamten Gigs auf die Frontfrau gerichtet und so verpassten die meisten
zumindest optisch das feurige, gefühlvolle Spiel Ruttens.
Die ganze Band (allen voran Trommler Hans Rutten) hatte offensichtlich
Spass am Konzert, was auch an die neuen Wege in ihrer Musik gelegen haben
dürfte. Obwohl man sich immer Songs wünscht, die nicht gespielt werden
("Shrink" also...), war dieses Konzert so etwas wie das vollkommene
Musikerlebnis, denn nicht einzelne Stücke leuchteten da im halbdunkeln wie
Sterne, nein: es war die magische Atmosphäre eines eineinhalbstündigen
Märchens die an diesem April-Abend im Paradiso zu spüren war. Ich kann
deswegen nicht verstehen, dass Leute sich beschweren, weil sie Song X oder Y
nicht bekommen haben; alles was The Gathering auf dem,
zugegebenermassen
Metal-unkompatiblen Doppeldecker "How to measure a planet?" verewigten und
hier live vorstellten war eine schlichte Freude.
Statt Headbang-Futter also Gänsehaut ohne Ende. Man kann beim Gathering-Gig
sein Nevermore-T-Shirt deswegen getrost zuhause lassen und
sollte sich
vorher vielleicht einige Margaritas hinter die Birne kippen. Denn bei
Anneke und ihrer psychedelischen Versammlung scheint immer die Sonne - auch
um Mitternacht.
P.S.
Im Vorprogramm musste man eine wirklich scheusslich trendy Combo namens
Isis ertragen, was sich im nachhinein aber als sehr nützlich
erwies: es
machte den Auftritt von The Gathering umso unvergesslicher.
Das
Nachprogramm (wer denkt sich überhaupt sowas aus?) hiess Pist-On und
ihr
könnt euch schon denken, was ich da gemacht habe.
(c) 1999, Oliver Kerkdijk
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