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Patricia Kaas - 13.12.1999; Rai, Amsterdam
Es gibt diese Momente im Leben,
da weiss man nicht ob man wach ist oder träumt. Am vergangenen
Montagabend, dem dreizehnten Dezember 1999, hatte ich solch einen
Moment und zwar in der Sekunde als ich, in der dritten Reihe
mitten vor der grossen Bühne des Rai-Kongresszentrums gesessen,
diese Frau aus Frankreich sah, die zu singen anfing. Nein, warte;
es war genau in dem Augenblick bevor sie zu singen begann.
Seltsam, was da in mir passierte. Diese Augen, diese Bewegungen.
Diese sensuelle und vor Lebensenergie überquellende Frau mit dem
festesten Blick auf der Welt, diese Frau hat es auf ihrem
Gewissen. Ich sah nur sie, hörte anfangs nicht mal die Musik; es
war alsob in dieser einen Sekunde die Welt still und vollkommen
war.
Da ist sie also, dachte ich nur, da ist sie also.
Erst nach diesem Augenblick erfasste mich die Stimme, und erst danach hörte ich die Musiker.
Die erste Nummer von Patricia
Kaas an diesem regnerischen Abend im
Dezember hiess passenderweise "La clé" - der
Schlüssel. Als sie den Schlüssel im Schloss umdrehte, fühlte
ich mich wie mit fünfzehn, als ich die britische Sängerin Judie Tzuke und Ann Wilson von Heart
angebetet habe. Ich sass da sprachlos in meinem Fauteuil
in der dritten Reihe, Patricia stand genau zweieinhalb Meter von
mir enfernt auf der stimmungsvoll-exotisch als Nomadenzelt
eingerichteten Bühne, und dann dieses Aufblitzen in ihren hellen
Augen. Ich vergass zu atmen. Ich habe versucht, mir alle ihre
Gesten, Bewegungen in meinem Gedächtnis einzuprägen. Ich habe
versucht, jede Handbewegung, jedes Neigen ihres Hauptes, jedes
ihrer graziösen Schritte über die arabischen Teppiche zu
behalten. Ja, ich gebe es zu: ich bin nicht mich selbst gewesen,
an diesem Montagabend im Dezember. Sie hat mit dem Publikum
geredet und bis zur leichten Provokation improvisiert als ihr die
Leute im ausverkauften Saal zu lässig waren. Sie hat kleine
ironische Witze gemacht. Seltsam erfrischend; die Ironie ist ja
bekanntlich nicht die Stärke der Frauen. Sie ist vor einer
Tanzeinlage zum Umkleiden durch den Zeltausgang links von der
Bühne gegangen, um wenige Momente später von dort wieder zu
erscheinen, aux pieds nus, in einem hauteng um ihre Hüften
geknüpften grün-gelben Strandrock und knappem Bikini-Oberteil.
Hab' - mea culpa - vergessen bei welcher Nummer dies geschah. Ja,
gesungen hat sie, und zwar mit einer seltenen Hingabe und
Stimmkontrolle. Vom kleinen aber feinen, autobiographischen
"Une fille de l'Est" über das im herrlichen Rhythmus
daherkommende "Une femme comme une autre" bis zum
atemberaubend schönen "Les éternelles" gab es lauter
Perlen der leichten Muse. In der ersten Stunde des Konzerts
hielten die neun Musiker (inklusive drei Violistinnen und eine
Cellistin) um Patricia sich eher zurück, bei gedämpftem Licht
aus arabischen Bazaarlaternen gab es hier und dort ein
akustisches Gitarrenstück oder eine dezente Keyboard-Einlage.
Dass das Mitsing-Spielchen bei dem Medley älterer Songs nicht so
ganz klappte, hatte mal wieder mit den mangelnden
Französisch-Kentnissen der Niederländer zu tun; die meisten von
ihnen hätten am liebsten die Kaas auf Englisch gehört, da bin
ich mir sicher. Soît - geistig Unterernährte gibt's überall
auf dem Globus.
Gut rüber kamen trotzdem "Mademoiselle chante le blues" und "Mon mec à
moi" (kann man als altmodischer Heterosexueller nun mal
partout nicht mitsingen, also hab ich's gelassen); Patricia's
einzigartige Stimme war permanent in transit zwischen Blues, Pop
und Chanson. Speziell das Chanson war omnipräsent an diesem
gedenkwürdigen Abend; vom wirklich wunderschönen "Le mot
de passe" (Titeltrack ihres '99-er Albums) bis zum Piaf-schen "Les hommes qui passent" reihte sich Höhepunkt an
Höhepunkt. In der zweiten Stunde hatte Patricia das reservierte
Publikum aber ziemlich satt und animierte, barfuss über die
Bühne rennend, den ganzen Saal zum aufstehen, klatschen und gar
schreien - das als Metalhead mitzuerleben war rührend; ich kam
mir fast wie beim Savatage
-Gig vor. Bis zum Ende dieses Musikfestes hat sich
keiner mehr hingesetzt; insofern Holländer die Südländer
spielen können, taten sie es, dank Patricias unermüdlichen
Entertainer-Qualitäten und ansteckender Fröhlichkeit, an diesem
Abend auch. Während die Uhr tickte betete ich, diese Frau möge
doch bitte nicht bald und permanent von uns gehen. Der liebe Gott
erbarmte sich mir. Erst nach mehreren Encores und zweieinviertel
Stunden Musik verabschiedete die Schöne aus dem Elsass sich und
verschwand zuletzt in die Kulissen. Das alles ist jetzt, wo ich
dieses Stück schreibe, einige Tage her. Vor meinem Geistesauge
schwebt sie noch immer, diese Frau, und in meinem Kopf geht
ständig diese oder jene Melodie von "Le mot de passe"
herum. Seltsam aber ist die Tatsache, dass dieser eine
Augenblick, der Augenblick bevor Patricia Kaas
an dem Abend das Konzert mit "La clé" eröffnete, auf mich einen derart
tiefen Eindruck hinterlassen hat. Es ist lange her, dass mir so
etwas passiert ist. Ich glaube, in dieser verdammten, traurigen
Welt wo es nur noch auf Kohle, Konservenware und lügenhafte
Vermarktung anzukommen scheint, begegnet man die Magie in den
meist unerwarteten Momenten (das heisst: nicht während Dream Theater-/Hammerfall-Konzerten,
vor der Glotze oder im Hollywood-Kino). Der Underground-Metalhead
und Otto Normalmusikverbraucher mögen dieses Stück recht
deplaziert, überflüssig, gar lächerlich oder sonstwas finden
(nein, Oliver, ich bin echt ein bischen gerührt... -Michael);
das kratzt mich nicht weiter. Ich musste es aufschreiben, damit
ich es in zehn Jahren nochmal lesen und diesen einen Augenblick
nochmal erleben kann.
(c) 1999, Oliver Kerkdijk
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