METAL MMVI A.D.
Auch wenn dem Metal-Jahr 2006 die ganz großen Highlights, die Überscheiben,
fehlten, war es in der Breite betrachtet, doch mehr als nur ein gutes Jahr. Eine
unheimliche Qualitätsdichte, vor allem im US Metal und im Doom-Bereich, sorgte
dafür, dass sich der Begeisterungspegel stets im grünen Bereich bewegte. Tolle
Eigenpressungen, Demos und starke Scheiben der ganz großen Bands komplettierten
das Bild einer Musikrichtung, die lebendiger ist als je zuvor.
Vor allem an der Live-Front machte sich das auch bemerkbar. So zeigte neben den
drei etablierten Underground-Festivals vor allem der Erfolg zahlreicher kleiner,
von lokalen Veranstaltern in Eigeninitiative organisierter Clubkonzerte, dass
die dürren Jahre definitiv vorbei sind und die Szene wieder auf dem Weg zurück
zu einem starken Netzwerk ist.
Die 20 besten Longplayer des Jahres 2006:
1. Motörhead - Kiss of Death
Lange habe ich darüber nachgedacht, das Vergleichsmaterial gesichtet und zur
Überprüfung der Statistiken ein zwanzigköpfiges Team von studentischen
Hilfskräften beschäftigt. Hab’s hin- und hergeschoben, sorgfältig abgewogen und
gegengerechnet. Ich habe es mir nicht leicht gemacht, aber es ist, wie es ist:
KISS OF DEATH ist die beste Motörhead-Platte aller Zeiten. Nie war die Band
härter, melodischer, tiefgründiger, generell abwechslungsreicher als 2006.
Phänomenale Texte und der Song des Jahres „God was never on your side“ machen
den überlegenen Jahressieg komplett. Herzlichen Glückwunsch!
2. The Gates of Slumber - Suffer no Guilt
Krass, wie sich THE GATES OF SLUMBER mit “Suffer no Guilt” gegenüber den
beileibe nicht schwachen Vorgängern steigern konnten. Die Platte ist in ihrer
Gesamtheit ein Meisterwerk, das vor allem durch seine rücksichtslose Konsequenz
besticht. Ohne Overdubs, Effekte oder technische Spielereien schaffen Karl Simon
und Co. eine derartig natürliche Heaviness, dass absolut alles platt gewalzt
wird. Geboten werden dabei keine sinnlosen Soundkaskaden, sondern phantastische
Songs, die mehr als je zuvor den zeitlosen Geist des klassischen Stahls atmen.
„Angel of Death“, „Riders of Doom“ und das 20minütige „God wills it“ werden auch
in 25 Jahren nichts von ihrer Größe verloren haben.
3. Bible of the Devil - The diabolic procession
Mir war zwar immer klar, dass BIBLE OF THE DEVIL was auf der Pfanne haben, aber
dass sie in der Lage sind, einen potentiellen Klassiker wie „The diabolic
procession“ aus der Hüfte zu feuern, kam dann doch überraschend. Der Schlüssel
zum Erfolg - weniger Rotzrock, mehr 80er Metal - geht in einer perfekten
Symbiose aus der Energie des Punk und der Filigranität traditionellen Heavy
Metals auf. Es passt einfach alles. Die Riffs sitzen, die Melodien fesseln und
Mark Hoffmans rauhe Shouts geben dem ganzen eine unverwechselbare Note. Ganz
großes Tennis!
4. Slayer - Christ Illusion
Die beste SLAYER seit „Seasons in the Abyss“. Punkt. Keine Diskussion. Ob’s
allein an der Rückkehr von Trommelmessias Lombardo liegt oder vielleicht doch
eher daran, dass man diesmal allzu offensichtliche Anbiederungen an gerade
angesagte Sounds außen vor ließ, sei dahingestellt. Fakt ist: die Band
konzentriert sich wieder auf das Wesentliche, nämlich nackenspaltende,
nervenzerrende Riffs einzuzimmern. Die in guter Tradition stehenden Provo-Texte
sind das Tüpfelchen auf dem stählernen “i“.
5. Darkthrone - The Cult is alive
Leck mich am Arsch, was ist die neue Darkthrone geil! Ich seh direkt all die
entgeisterten Panda-Gesichter vor mir, denen fassungslos die Kinnladen
runterklappen angesichts des asozialen „Fuck You!“, das ihnen Darkthrone mit „The
Cult is alive“ in die geschminkten Visagen plärren. Den Urgesteinen ist’s
offensichtlich scheißegal, was picklige Szenekasper unter Black Metal verstehen
und liefern einen punkig-rock’n’rolligen Bastard ab, der in seiner
schonungslosen Räudigkeit authentischer ist als alles, was der Black Metal seit
Bathorys „The return“ ausgespien hat. „You call your metal black? It’s just
spastic, lame and weak!“, poltert Nocturno Culto und hat damit verdammt recht.
DAS hier ist der wahre Stoff! Musikalischer Nihilismus in der reinsten Form!
Purer Black Metal. Der Kult lebt!
6. Bullet - Heading for the Top
Auch eine Band, die ich nicht auf der Rechnung hatte, und die mich auf Anhieb
total aus den Socken hob. „Heading for the Top“ bietet allerfeinsten
Headbangerstoff in der besten Tradition von Größen wie AC/DC, Accept und
Konsorten. Verblüffend ist vor allem die Souveränität, mit der sich die Jungs
schon jetzt echte Rock-Hymnen aus den Ärmeln schütteln, die ein ganzer Haufen
alter Hasen nur neidisch beäugen kann.
7. Pharaoh - The longest night
Selten hat ein Label in einem Jahr soviel durchweg hochqualitative Platten
veröffentlicht, wie Cruz del Sur 2006. Den Höhepunkt stellten dabei gleich zu
Jahresbeginn Pharaoh um Sangesgott Tim Aymar dar, die mit „The longest night“
mal eben der versammelten Metalgemeinde vormachten, wie traditioneller, leicht
progressiver Heavy Metal heute klingen kann und muss. Instrumental auf höchstem
Niveau und mit sagenhaften Melodien ausgestattet, bleibt unterm Strich eine der
besten US Metal Platten der letzten Jahre.
8. Wretch - Reborn
Fuckin’ Wretch killen einfach ohne Ende. US Metal-Granaten wie „I am Storm“
packen dich da, wo du’s am meisten spürst und schütteln dich mit einer Wucht
durch, die dir den Atem nimmt. Jedes der Stücke strotzt nur so von Power und
obendrauf legt Gimli-Lookalike Colin Watson mit seiner rauen Stimme eine Wall of
Screams die JEDEN Metaller vor Freude im Dreieck hüpfen lassen sollte.
9. Venom - Metal Black
Wenn ich ‘nen Big Mac will, geh ich zu McDonalds, wenn ich Werkzeug brauch, in
den Baumarkt und wenn ich derb was auf die Fresse will, höre ich die neue Venom.
As easy as that. Eine Platte wie eine Kneipenschlägerei. Roh, brutal und
dreckig: “A celebration of everything loud / This is the music to incite a crowd
/ Satanic forces lay everything bare / We turn the danger up, feel it in the air”.
Hallelujah!
10. Communic - Waves of Visual Decay
War irgendwie klar, dass Communic mit “Waves of Visual Decay” nicht an ihr
Jahrhundertdebüt rankommen würden. Mit Ausnahme des Übersongs „Frozen asleep in
the park“ wirkt alles - Melodien, Riffs, Produktion - ein wenig
durchschnittlicher. Wobei der Durchschnitt, der bei Communic angelegt wird
natürlich immer noch reicht, um 90% der gegenwärtigen Konkurrenz zu
deklassieren. Deshalb trotz Stagnation auf höchstem Niveau auch völlig zurecht
unter den Top-Scheiben des Jahres.
11. Iron Maiden - A matter of life and death
Eddie turns progressive? Irgendwie schon. Deswegen braucht’s vielleicht auch
seine Zeit, bis “A matter of life and death“ richtig rund läuft. Nach ein paar
Durchgängen entfalten die tollen Melodien und versteckten Feinheiten jedoch mehr
und mehr ihre volle Wirkung und lassen die Platte zu einem heimlichen Highlight
in der Maiden-Diskographie werden.
12. Dark Black - The Barbarian’s Hammer
Hell yeah! Dark Black liefern mit “The Barbarian’s Hammer” das kauzigste Stück
US Metal des ganzen Jahres ab. Coolste Sword & Sorcery Lyrics treffen auf
kultiges Brocas Helm-Gerumpel mit geilen Gitarrensalven und merkwürdigem Gesang.
Eine Platte, die den Metal keinen Schritt vorwärts bringt, aber in ihrem
hemmungslos zelebrierten Anachronismus jeglichen Fortschritt sowieso als obsolet
entlarvt.
13. Antiquus - Eleutheria
Neben der überragenden Pharaoh-Vollbedienung liefern Antiquus die zweitbeste
Cruz del Sur-Platte des Jahres ab. Ein ansprechendes Science-Fiction Konzept
wird in ebenso progressiven wie epischen Klängen vertont, so dass es sich binnen
kürzester Zeit wunderbar in der traumhaften Atmosphäre der fünf Klangkünstler
versinken lässt. US Metal als Breitwandkino.
14. Solitude Aeturnus - Alone
Nach der eher durchschnittlichen “Adagio” lassen es Solitude Aeturnus wieder
hemmungslos krachen. Die typischen, orientalisch angehauchten Riffs sind die
Bühne, auf der Rob Lowe nichts anderes als die Gesangsleistung des Jahres
darbietet. Intensiv, majestätisch und in tiefstem Dunkelgrau entstehen so acht
Hymnen (+Bonustrack), die in dieser Qualität noch immer Maßstäbe im Epic Doom zu
setzen vermögen.
15. Old - Down with the nails
Wenn eine ausgewiesene Koryphäe in Sachen Rumpelmusik wie Darkthrones Fenriz ein
paar jungen Deutschen mit einem Plattenvertrag gewissermaßen den Ritterschlag
erteilt, muss schon was an der Band dran sein. Und tatsächlich: „Down with the
nails“ brettert dermaßen räudig durch die Pampa, dass die Patronengurte nur so
scheppern und Tom Angelripper mit Topfschnitt neugierig um die Ecke lugt. „Blood
Skull“, „Under the sign of death“ und „Triumph of hell“ sind schwärzeste
Old-school Geschosse, die bei musikalischen Feingeistern das blanke Entsetzen
verursachen dürften. Für Teutonen-Thrash Afficionados bieten Old hingegen die
absolute Vollbedienung.
16. Place of Skulls - The black is never far
Eigentlich ist der doch recht enge “Doom”-Begriff für “The black is never far”
gar nicht mehr angebracht. Zwar sind Victor Griffins Riffs fest in der 70er
Sabbath/Pentagram-Schiene verankert, doch im Gesamtbild schaffen Place of Skulls
nichts anderes als eine zeitlose Rockscheibe mit ganz großen Emotionen, die
lagerübergreifend für Begeisterung sorgen sollte.
17. Burning Saviours - Hundus
Den perfekten Retro-Trip liefern die schwedischen Pentagram-Jünger Burning
Saviours mit „Hundus“ ab. Dabei geht die Truppe um einiges entspannter ans Werk
als ihre Vorbilder und schafft mit knarzenden Gitarren, tollen Flöteneinsätzen
und Groove ohne Ende eine farbenprächtige 70er Hommage irgendwo in der
Schnittmenge von Jethro Tull, Uriah Heep und Pentagram.
18. Ruffians – Desert of Tears
Nach dem starken Auftritt am KIT V war schon klar, dass mit den RUFFIANS noch in
jedem Falle zu rechnen ist. Dass „Desert of Tears“ so stark ausfallen würde,
verwundert dann doch leicht. Treibender, melodischer US Metal mit fetten Riffs
und dramatischen Gesangslinien, die vom „ewigen Nachfolger“ Rich Wilde
phänomenal dargeboten werden. „Running blind“, „Darkest Light“ oder das von
dezenten Orgelklängen unterlegte „Day of the Champions“ sind feinstes
Headbangerfutter, das auch in den 1980ern eine verdammt gute Figur gemacht
hätte.
19. Spiritus Mortis – Fallen
„Fallen“ dürfte ziemlich genau das Resultat dessen sein, was passiert, wenn
Black Sabbath und Deep Purple gemeinsam „South of Heaven“ covern. Klingt
komisch, ist aber so. Und gerade diese Vielschichtigkeit ist es, die Spiritus
Mortis weit über den Doom-Durchschnitt heraushebt. So ist „Fallen“ gleichzeitig
tiefschwarz und verspielt, ultraschwer und doch stellenweise einfach locker
drauf los rockend. Eine Platte, die zu jeder Gelegenheit Spaß macht – von
welcher anderen Doom-Veröffentlichung kann man das schon behaupten?
20. Assedium - Rise of the Warlords
Nachdem Doomsword mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden sind,
müssen’s halt andere richten. Assedium haben durchaus das Zeug dazu, den
südeuropäischen Epic Thron in Beschlag zu nehmen, ist „Rise of the Warlords“
doch eine durchgehend hochklassige Scheibe, gespickt mit ausschweifenden
Melodien, klasse Riffs und epischem Textkonzept. Dass es nicht für ganz oben
reicht, liegt an der ziemlich dünnen Produktion und dem teils – typisch
südeuropäisch – recht knödeligen Gesang.
ENTTÄUSCHUNGEN 2006
- Manowar sind wohl endgültig im Eimer (anhaltende Fanverarsche und zunehmende
musikalische Belanglosigkeit…)
- Blind Guardian auch (5367 quäkige Wah-Wah Licks mit 50 Spuren Gesang drüber
helfen auch nix, wenn keine Songs dabei zustande kommen…)
- Das Rock Hard ebenfalls (Pharaoh Soundcheck Platz 37. Hallo?! Bible of the
Devil Soundcheck Platz 52. Geht’s noch?! Kontakt zur Basis ist inzwischen völlig
verschwunden, etc. pp...)
- Spinnen (haben acht Augen und können trotzdem nur in Schwarz-Weiß sehen)
NEWCOMER 2006
1. The Lamp of Thoth
2. Portrait
3. Vestal Claret
HOFFNUNGEN 2006
1. Plattenvertrag und Weltherrschaft für Powervice
2. Manowar stoppen den freien Fall, holen Ross the Boss zurück, kicken den
ganzen Orchester-Schmu über Bord und lassen es noch einmal so richtig krachen
3. Es werden zwei Stunden bislang unbekanntes Bathory-Material aus der „Twilight
of the gods“-Phase in Quorthons alter Wohnung entdeckt und veröffentlicht
4. Mehr Vinyl-Veröffentlichungen
(c) 2006, Manuel Trummer
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