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The Gates Of Slumber: Hymns Of Blood And Thunder

„Hymns of Blood and Thunder“ bietet den unwiderruflichen Beweis, dass THE GATES OF SLUMBER die mächtigste Band der aktuellen Heavy-Metal-Szene sind. Die Klasse des Meisterwerks „Conqueror“ wurde jedoch knapp verfehlt.

 

THE GATES OF SLUMBER müssen sich einige Fragen gefallen lassen. Zunächst verwundert, wieso mit „Chaos Calling“ und „Death Dealer“ ausgerechnet die beiden schwächsten Stücke des Albums an den Anfang gestellt wurden. Beide Tracks sind schnelle Doom-Nummern mit TGOS-typischer Hardcore-/Saint Vitus-Schlagseite. Allerdings ähneln sich die Stücke zum einen in ihrem Riffing stark, zum anderen sorgen die wenig spektakulär geratenen Refrains nicht gerade für Extase. Stellt die Entscheidung, gerade die beiden Stücke, die in ihrer Rohheit am deutlichsten „The Awakening“-Reminiszenzen aufblitzen lassen, etwa ein Statement in Richtung jener Kritiker dar, welche der Band nach dem Wechsel zum britischen Hipster-Label Rise Above, vorwarfen, ihre Wurzeln zu verleugnen? Ebenso kompromisslos, doch eher an „Suffer no guilt“ erinnernd, folgt mit „Beneath the eyes of Mars“ der erste eiserne Hammer auf „Hymns of Blood and Thunder“. Die Band schaltet einen Gang zurück und trampelt - passend zum Text - einer methamphetamingedopten römischen Legion gleich auf beeindruckende Weise jegliche Widerstände in den Staub. Wenn gegen Ende des Songs klassische Sägezahn-Synthesizer die fetten Gitarrenwände kontrastieren, richten sich zum ersten Mal im Laufe der knapp 50 Minuten die Haare auf den Armen auf. Gänsehaut.

Teil zwei des Doppelschlags bildet „The Doom of Aceldama“. Mit einem monumental mächtigen Einstieg, der stark an das große Finale von „Conqueror“ erinnert, findet die Auseinandersetzung mit der eigenen stilistischen Entwicklung ein vorläufiges Ende. Erzählt wird die Geschichte von Judas Iscariot - mit einem interessanten Twist: aus einer Ich-Perspektive stellt Judas die Frage, wieso er und seine Nachkommen durch die Jahrhunderte hinweg verflucht wurden, obwohl er es doch war, der Jesus seinem Tod auf Golgotha zuführte und damit die Erlösung der Menschheit einleitete. Der Song besticht durch gewaltiges Riffing und eine ergreifende, anklagende Gesangsleistung von Karl, bevor ein schneller Endteil mit wunderbaren Gitarrenleads im Fade-out verklingt. Ganz groß.

„Age of Sorrow“, ein kurzes instrumentales Relikt aus den „Conqueror“-Sessions, leitet über zu „Bringer of War“, einem abermals eisenharten Track, der mit seiner groovigen Gitarrenarbeit ein wenig aus dem Rahmen fällt. Allerdings ist auch hier der Refrain recht  durchschnittlich, so dass sich das Stück im unteren Drittel der Platte einordnen muss. Ein ganz anderes Kaliber wird mit „Descent into Madness“ verschossen. Der Lavatrack der Platte. Purer, völlig kompromissloser Doom Metal, den ich nach dem leicht zugänglichen „Conqueror“ nie und nimmer von THE GATES OF SLUMBER erwartet hätte. Karl gefällt einmal mehr mit einer wunderbar emotionalen Gesangsdarbietung, und wer Lovecrafts „At the mountains of madness“ vertont, hat ohnehin schon gewonnen. Die Rückgriffe auf die derben „The Awakening“- und „Like a plague on the land“-Zeiten auf „Hymns of Blood and Thunder“ erhalten durch die folgende, ultrafette Neueinspielung von „Iron Hammer“ weiteres Gewicht, bevor mit „The Mist in the Mourning“ der ungewöhnlichste Track folgt, den THE GATES OF SLUMBER bislang geschrieben haben dürften. Nur von Krummhorn und Akustikgitarre unterlegt, singt Karl im Duett mit einer wunderschönen Frauenstimme eine faszinierende, an irische Folkmelodien erinnernde, Ballade mit intensiven Text und 100% Gänsehautgarantie. Vielleicht DER Höhepunkt der Scheibe. Darauf folgt mit dem Titeltrack „Blood and Thunder“ bereits der hymnische Abschluss. Doppelbassdrumming und klassisches, tiefergelegtes Heavy Metal-Riffing mit epischen Einsprengseln und Akustikgitarren beschwören noch einmal die Magie von „Conqueror“. Klasse.

 

Einigermaßen geplättet von der Wucht des Albums, drängen sich nach dem Hören dennoch mehrere Eindrücke sofort nach vorne. Unmittelbar fällt der abermals brutale aber völlig natürliche Mix auf, der einerseits in der Gitarrensektion klarer wirkt, als auf „Conqueror“, und zum Zweiten Jasons angezerrten Bass so dominant wie auf noch keiner Platte von THE GATES OF SLUMBER im Vordergrund positioniert. Ebenfalls überraschend ist die Rücksichtslosigkeit mit der die Band auf „Hymns of Blood and Thunder“ vorgeht. THE GATES OF SLUMBER bedienen sich - ebenso wie schon auf „Conqueror“  - eines Wortschatzes der nichts anderes ist als purer Heavy Metal. Alte Judas Priest, Rainbow, alte Manowar sind hierbei die Referenzvokabeln. Die Regeln gibt dabei jedoch wesentlich stärker als auf dem Vorgänger eine Grammatik aus Doom Metal und Hardcore vor, wie sie die Band vor allem auf ihren Demos und ihrem Debüt kultivierte. Von Ausverkauf keine Rede.

Im Gegenteil: wer nach dem hitlastigen „Conqueror“ auf eine weitere Scheibe, vollgepackt mit einprägsamen Refrains, griffigen Strophen und straighten Riffs hoffte, muss sich getäuscht sehen. Während sich „Conqueror“ bereits mit dem ersten Durchlauf im Ohr des Hörers festsetzte, sich der Hitfaktor der Platte durch die individuelle Größe der einzelnen Songs unmittelbar bemerkbar machte, kommt „Hymns of Blood and Thunder“ bequemen Hörern weniger galant entgegen. Fast sperrig, möchte man urteilen, angesichts der derben Keule, die hier geschwungen wird. Doch zwischen dem rostigen Stahl blitzen  immer wieder auch kleine brillante Geniestreiche auf, welche die Platte unaufhaltsam zu ihrer vollen Größe anwachsen lassen. Anders als auf dem Vorgänger sind es nun nicht mehr die grandiosen Ohrwurmrefrains, sondern die kleinen Details im Gesamtsound, die  für die überlebensgroßen Momente sorgen. Zunächst fallen die versteckten Spielereien gar nicht übermäßig zwischen den Riffkaskaden auf, aber ihre Wirkung entfalten sie dadurch umso präziser. Hier ein Tupfer 70er-Jahre-Synthesizer und eine gedoppelte Gitarrenspur, dort eine kleine Harmonie auf der Lead-Stimme und ein netter Effekt: mit Kleinigkeiten schafft es die Platte nach einigen Durchläufen den Hörer in ihren Bann zu ziehen.

Keine Frage, an „Conqueror“ wird „Hymns of Blood and Thunder“ trotz aller Stärken auch in 20 Jahren nicht rütteln können - zwei, drei Längen zu viel haben sich eingeschlichen - doch, dass THE GATES OF SLUMBER neben Slough Feg die beste und wichtigste echte Heavy Metal Band der Gegenwart sind, wird durch die Platte eindrucksvoll bestätigt.

 

Eine andere Frage, die sich die Band - zumindest von ihren älteren Fans - gefallen lassen muss, ist schließlich die Frage nach dem Label. Kaum ein anderer Labelwechsel hatte in den vergangenen Monaten für so viel Diskussionsstoff im Untergrund gesorgt, wie THE GATES OF SLUMBERS nicht ganz geräuschloser Umzug von I Hate Records zu Rise Above (ich musste mich selbst mit heftigen Vorwürfen auseinandersetzen, nachdem ich das Layout der CD-Version für die Band übernommen hatte). Wie passt eine Band, die sich über Jahre hinweg mit dem Circle of True Doom einer puristischen, unkommerziellen Art von Doom verschrieben hat, auf ein Label, dessen Betreiber in den 90ern den Metal für tot erklärt hatten und „Cosmic Rock“ als Zukunft der harten Musik bewarben. Wie passt eine Band, die aus überzeugten Manowar-, Priest- und Vitus-Fans besteht, wie THE GATES OF SLUMBER, auf ein Label mit angesagten Hippietruppen und Sondermüll wie MOSS? Welche Perspektive ist auf einem Label zu erwarten, das erst 2008 (neben anderen Verdächtigen wie Earache und Konsorten) den klassischen Heavy Metal als neuen Verkaufstrend entdeckt hat?

Nur die Musik zählt? Bullshit. In einer Zeit, in der auch eine ehemals überschaubare Kultur wie Heavy Metal mehr aus Schein als aus Sein besteht, kann man als kritischer  Konsument nicht mehr einfach zwischen Produkt und Kontext trennen. Wer würde von sich behaupten, einen korrupten Politiker zu wählen „so lange er gute Politik macht“? Wer würde in Kinderarbeit gefertigte Schuhe tragen „so lange die Qualität stimmt“? Niemand. Woher dann diese verantwortungslose, mit pseudoliberaler Argumentation verteidigte Gleichgültigkeit bei kulturellen Dingen? Jedes Album ist heute aufgeladen mit unterschiedlichsten Wertehaltungen und Ideologien. Ignoriere ich diesen unsichtbaren Wert der Musik, diese Standortbestimmungen, mache ich mich in einem Zeitalter, in dem nahezu jeder die Möglichkeit - nein die Pflicht - hat, sich zu informieren, mitschuldig an der zunehmenden Vergewaltigung, Verflachung und Reduktion von Kunst auf reinen Konsum durch die Akteure einer hemmungslos gefräßigen Industrie.

Zugegeben, Rise Above mit Kinderarbeit und korrupten Politikern gleichzusetzen, ist vielleicht ein wenig rau und nicht ganz unpolemisch, nichtsdestotrotz werden auch THE GATES OF SLUMBER sich bei ihren Fans rechtfertigen müssen, sobald - wie es Labelpolitik ist - ihr Album in verschiedensten, jeweils „strengst limitierten“ Vinylversionen für 30 Euro und mehr angeboten wird.

Ich wünsche der Band nur das beste. Karl und Jason zählen zu den nettesten, aufrichtigsten und gutmütigsten Zeitgenossen, die sich in der Szene herumtreiben. Bis zu einem bestimmten Grad - mehr touren, mehr verkaufen - wird sich der Labelwechsel sicher auszahlen und die Band wird ihrem leidenschaftlichen Ziel, von der Musik leben zu können, hoffentlich einen Schritt näher kommen. Doch ich fürchte, der endgültige Durchbruch - was immer das heißen mag - wird THE GATES OF SLUMBER mit „Hymns of Blood and Thunder“ und Rise Above nicht gelingen. Zum einen, weil die Platte zu spröde und kompromisslos für den breiteren Markt ist und wohl nur schwer neue Käuferschichten jenseits der Rise Above-Hipster-Klientel, die in zwei Jahren zum nächsten Trend weiter wandern wird, erschließen kann. Auch viele Hörer, welche die Band erst mit „Conqueror“ kennengelernt haben, dürften aufgrund der gebotenen Härte und fehlenden Hooklines verstört zurück bleiben. Des Weiteren ist Rise Above am wichtigen deutschen Markt zu wenig präsent und nicht genug mit den Redaktionen der beiden großen Magazine befreundet, um der Band tatsächlich zu weiter Verbreitung, Titelstories, großen Touren und guten Reviews zu verhelfen. Metal Blade und Nuclear Blast, von denen der Band auch Angebote vorlagen, wären sicher die bessere Wahl gewesen, um den europäischen Mainstream zu knacken.

Hoffentlich täusche ich mich, und THE GATES OF SLUMBER erfahren endlich die Anerkennung, die sie verdienen. Denn „Hymns of Blood and Thunder“ ist eine gigantische Platte von einer ebenso wichtigen wie sympathischen Band. Heavy Metal wird 2009 nur selten besser klingen, heavier auf keinen Fall. Kaufen!

(c)2009, Manuel Trummer