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Patricia Kaas: Le mot de passe

Félicitations! Die Elegante aus dem Elsass mit der raucherbluesigen,
sommerschwülen Stimme bereichert die CD-Kollektionen sämtlicher
Musikliebhaber um eine überragende Scheibe frankophonen Liedguts. Mit
Sänger/Komponist/Arrangeur Pascal Obispo als "régisseur général" ist das
Material auf "Le mot de passe" wohl das beste dass Patricia Kaas bisher
aufgenommen hat, und das wo in ihrem vielschichtigen Repertoire schon
etliche Perlen schimmern. Es ist vor allem die Verbindung von
altbewährtem Chanson-Flair mit rockigen und Powerpop-beeinflussten
Elementen die intrigiert und verführt; dazu verleihen die überragenden
Streicher-Arrangements vom Team Obispo/Yvan Cassar der Platte eine
heutzutage in der leichten Musik seltenst gehörte Dimension. Merke: das
sind keine Samples, mais non, mais non! Man hat im Méga Studio
(Suresnes, Frankreich) eine ganze Batterie an Violisten, Altviolisten,
Cellisten und Violoncellisten zur orchestralen Frontalattacke
aufgestellt. Verdammt, da würden sogar italienische Filmmusikmagier wie
Ennio Morricone oder Riz "I need my forty violins!" Ortolani vor
Begeisterung ihren Spaghetti stehen lassen; erinnern die dynamischen
Klänge doch mehr als einmal an die Spät-Sechziger und Früh-Siebziger,
als Charles Aznavour, Jacques Brel und ihre Kollegen mit einem prall
gefüllten Orchester im Rahmen des jährlichen Grand Gala du Disque
auftraten. Computer und Samples gab es nicht; im Studio wurde auch mit
Chören und Orchestern aufgenommen, wodurch (natürlich nicht zuletzt
wegen der analogen Aufnahmetechnik) diese einzigartige, warme Klangfarbe
entstand. Heutzutage würde diese Aufnahmeweise für die meisten Projekte
den finanziellen Rahmen sprengen und man greift zum vorgebackenen
Softwarepaket (schon dieses Wort...) um den "alten" - ich nenne das
"eigentlichen" - Sound zu erzeugen. Haut aber fast nie hin, und erst
wenn man wieder eine typisch franzözische, hochdramatische Nummer hört
wie Patricia und Co. es mit "Les chansons commencent" bringen, weiss man
wie Streicher (und Chöre) zu klingen haben. Die breite Geste ist auf "Le
mot de passe" mehrmals vorhanden. Vor allem "Les éternelles" (ein
opulent mit Streichern unterlegter, epischer Waltzer mit poetischem
Text), das mächtige, schwere "Quand je t'oublie" (Drama!) und "Les
chansons commencent" (hätte auch vom quintessentiell französischen
Theatraliker Michel Sardou stammen können) blühen extravagant auf
zwischen Tradition und Moderne. "Moderne?" fragte der Ewiggestrige
ängstlich. Sch, sch; beruhigt euch - modern bezieht sich hier auf die
Interpretation; das Material an sich ist LP-Pop im klassischen Sinne. Im
Klartext: hier gibt's Musik zum zuhören, ein Kopfhörer-Ohrenschmaus für
den späten Abend. Etwas aus dem Rahmen fällt da "Une fille de l'Est";
dieser zerbrechlicher, kleiner Song stammt aus der Feder vom in
frankophonen Gebieten masslos populären Chansonnier/Komponisten
Jean-Jacques Goldman. Dazu hat Goldman einen für Patricia
nachvollziehbaren, bittersüssen und wahrhaftigen Text geschrieben: "Je
suis d'un pays d'un horizon d'une frontière Qui sonne guerre, qui sonne
éternel hiver Et si tu veux m'apprendre Si tu veux vraiment me connaître
Je suis dans chacun mot dans chacun de mes gestes Une fille de l'Est"
Dieses, wie gesagt kleine, Lied für Akustikgitarre und Stimme erinnert
an das Oeuvre von Francis Cabrel, den in Frankreich sehr geschätzten
Sänger des erzählenden Chansons. Irgendwie ironisch ist hier, dass beide
Herren zwar kompositorisch hochbegabt, doch stimmlich selber eher
Mittelmass sind. Schreiben sie für Andere, kommen ihre Talente erst
richtig zur Gältung. Sehr gelungen ist das von Obispo und der Sängerin
Zazie (die postmoderne und wohl eigenwilligste der neuzeitlichen
Interpräten Frankreichs) geschriebene "J'attends de nous". Auch nicht
von schlechten Eltern sind der Rocker "La clé" und das mit einem
passionierten Refrain ausgestattete "Mon chercheur d'or". Ich müsste
mich ja schwer täuschen, wenn Patricia Kaas mit ihren Chansons nicht
auch bei einigen toleranteren Metal- und Hardrockfans auf offene Ohren
(und Augen; sie ist wohl der Inbegriff französischer Eleganz und
Sensualität) stossen würde. Das Material hat Biss, wird höchsten
spielerischen und produktionellen Ansprüchen gerecht und steckt einfach
voller Leben. Die faszinierende, aus tausenden sofort herauszuhörene,
Stimme der Chanteuse spricht natürlich für sich. Hört euch doch mal den
Ohrwurm "Une femme comme une autre" an; der widersprüchige Text (aus dem
Gesichtspunkt einer Frau, die weiss dass ihr Mann sie betrügt und die
trotzdem reglos dasitzt und nichts unternimmt) wirkt dank Patricias
Gesangsleistung passioniert und wehmütig zugleich. Ausserdem ist der
straighte Rhythmus (vorgegeben vom erstklassigen Bass) so packend, dass
man sich der Nummer schlichtweg nicht entziehen kann. Schade nur, dass
durch die Polarisierung in der heutigen Musik (oder soll ich sagen dem
Marketing...) der Eindruck entsteht, die Kaas sei nur was für Yuppies
oder Leute über vierzig. Ebenso wie Fiorella Mannoia, Lara Fabian und
Andere ist sie im Fernsehen nicht selten in den grossen Shows vertreten;
und uncooler als die "Grosse Samstagabendunterhaltung" (oder was davon
seit Kuli übriggeblieben ist) kann das Medienleben ja kaum werden.
Uncool heisst hier aber mitnichten uninteressant; mit den
offensichtlichen Qualitäten dieser Künstlerin hat das rein gar nichts zu
tun, es müssen nun mal Platten verkauft werden. Und wo kann man auf
einem Schlag mehr potentielle Käufer erreichen als in den grossen
Fernsehprogrammen? Der suchende Musikfan hat die Kaas ohnehin schon für
sich entdeckt. Seit einiger Zeit ist Patricia auf einer Tour der sie
kreuz und quer durch Europa führt. Ich werde den Auftritt am 13.
Dezember in meiner Heimatstadt Amsterdam auf keinen Fall verpassen.


Internetadresse: www.patriciakaas.net

(c)1999, Oliver Kerkdijk