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Lara Fabian/Live (Polydor France; Frankreich-Import)

C'est beau, la musique! Die Franco-Kanadierin Lara Fabian legt ziemlich
früh in ihrer Karriere als Chansonnière moderne (sprich: Popsängerin auf
traditioneller Basis) eine doppelte Live-CD vor die es in sich hat.
Aufgenommen während ihrer Europa-Tour im Herbst 1998, zeigt diese
Doppelscheibe wie zeitlos Musik sein kann wenn sie gespielt wird von
Musikern die mit Herz und Seele bei der Sache sind.
Der eindrucksvolle vokale Bereich Fabians eignet sich für ein breites
Spektrum; nicht nur ist ihre biegsame, angenehme Stimme klar und tief,
sondern hat Lara auch die Gabe, Emotionen vokal bis zum vollen auszuleben.
Leider diktiert der Mainstream-Markt (in Französisch-sprachigen Gebieten
ist die Fabian fast so gross wie Céline Dion) eine verhältnissmässig glatte
Produktion bei den Studioplatten, so dass ihre wirklichen Qualitäten erst
auf diesen zwei Live-Scheiben zu hören sind. Hier kommt die sechsköpfige
Band (mit deutlichen Rock-Roots) so richtig zum Züge und sorgen die
Hintergrundsängerinnen für Vordergrundstimmung.
Die erste (grün-blau-farbene) CD hat das Gospelverdächtige "Alleluia" als
Opener; für mich als Gospelchöre-Hasser (Kirchen-Swing-Kitsch konnte ich
noch nie leiden) einen Senkrechtstarter und eine ziemliche Zumutung, aber
wegen der mehr als überzeugten Umsetzung dennoch ertragbar und am Ende
sogar fast mitreissend! Danach lässt die magische Live-Atmosphäre nicht
mehr nach: ab "Les amoureux de l'an deux-mille" (klasse mehrstimmiger
Chorus) singt die Fabian als wäre jeder Song ihr letzter. "Leila" fängt
eher gemächlich an, entpuppt sich dann als ziemlich kompliziertes Stück,
dessen präzises Vokal-Arrangement von Lara gekonnt und scheinbar mühelos
interpretiert wird. Der Ausklang enthält pures Fabian-Gold. Une voix d'ange!
Die auf Italienisch, anfangs sotto voce gesungene Piano-Ballade "Perdere
l'amore" jagt mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.
Emotion pur auch in "J'ai zappé" - blöder Titel, aber eines der schönsten
Stücke der ersten CD. Erstklassiges Songmaterial, erstklassig vorgetragen
(Lara kriegt am Ende ein sauberes Glissando hin, dass es einem der Atem
stockt). Auch im folgenden "Si tu m'aimes" gibt es die packende Kombination
Rock-Chanson; mit grosser Geste im französischen Stil (musikalisch, ihr
frechen Hunde!) und inklusive Gänsehaut erzeugendes doppeltes Gitarrensolo
(!) bekommt man hier die dramatische Vollbedienung.
Auffallend ist mal wieder die Tatsache, dass handgemachte Musik wie eben
diese in Deutschland und den Niederländen fast unauffindbar ist; man hört
sie weder im Radio noch im Fernsehen. In den Plattenläden ist sie nur
schwer aufzutreiben (und dann ja erst, wenn man überhaupt weiss, dass es
sie gibt). Stattdessen nur Computer-Müll für zugepillte Deppen, Volksmusik
für Gehörgeschädigte, Alternative-Scheiss für Gehirnlose,
Boy-/Girlgroup-Dreck für den Teenie-Markt. Eigentlich sollte es in der
Schule auch eine Art Musikunterricht geben, in dem Blauäugigen ECHTE Musik
vorgespielt wird, damit sie wenigstens wissen dass es ausserhalb der
Mainstream-Industrie noch andere, weitaus wichtigere Sachen gibt die man
sich anhören kann bzw. SOLLTE. Die heutige Musikmedienstrukturen sind ja
nichts weiteres als ein mafioses Apparat dass eine Monokultur fördert in
der nur gezielte Produkte als Massenkonsum ihren (teuer bezahlten)
künstlichen Platz haben. Die Medienmafia wird aber trotzdem die Qualität
niemals ausrotten können, was im Falle Metal/Hardrock, italienische
Cantautori (Singer-Songwriter) oder auch Lara Fabian deutlich wird.
Zurück zur CD: die zweite (orangen-farbene) Scheibe bietet
abwechslungsreiches. "Humana" hat ein leicht afrikanisches Feeling und ist
somit fast tanzbar. Da ich Tanzmusik HASSE (Kill dance-music before it
kills you!) nicht unbedingt der gelungene Einsteiger, aber ein schlichtes
Hammond-Intermezzo und Lara's Stimme machen dies wieder wett. "Urgent
désir" ist eine leider belanglose Nummer wofür die Skiptaste quasi erfunden
wurde. "Ici" und "Dites-moi pourquoi je l'aime" (mit kurzem Gitarrensolo)
sind beide eher dem Easy-Listening-Bereich zuzuordnen, aber trotzdem gut
gemacht. Nach dem tanzbaren (und deshalb für mich vergessbaren)
"Reveille-toi brother" (scheusslicher Titel) und der Vorstellung der Band
setzt Lara für die letzte Etappe an, ungefähr die Alpe d'Huez des Konzerts:
drei Mega-Balladen und das Über-Duett mit Johnny Hallyday, "Requiem pour un
fou".
Herztriefend und erhaben, das ist "Je suis malade" (naturellement über eine
unbeantwortete Liebe), wo die charismatische Chanteuse sich dermassen gibt
dass man meinen könnte, der Geist Jacques Brels wäre auf Erden
zurückgekehrt. Nach dem unglaublichen Applaus sagt die Fabian "Il ne me
reste qu'une chose à vous dire: je t'aime", und es folgt die Power-Ballade
"Je t'aime", wobei das (fast ausschliesslich aus Mädchen und Frauen
bestehende) Publikum den Text Wort für Wort mitsingt:
"Je t'aime
comme un fou, comme un soldat
comme un star de cinéma"
Das dramatische Gitarrensolo nach dem Break passt wie die Faust aufs Auge
und es gibt ein Gänsehaut-Crescendo. Aaaaaaaaaaahhh...
Anschliessend das kurze, subtile "Je t'appartiens" bevor, als
Superduper-Zugabe, das Duett "Requiem pour un fou" die Doppelscheibe
beendet. Lara singt hier im Stade de France mit Frankreichs Altrock-Ikone
Johnny Hallyday einen Song der abläuft wie der letzte Akt eines
französischen Film Noir: Breitwanddrama grösser als das Leben selbst,
passend bombastisch inszeniert mit Chor und Orchester und von den beiden
Hauptdarstellern so fesselnd und emotional gebracht, dass einem spontan die
Tränen kommen. Hier wird im Namen der Liebe gestorben was das Zeug hält:
Musik als Kino, eine Popballade als Opera-Finale. Bis! Bis! Bis!
Wer es also ab und zu nicht-metallisch mag (es soll ja Leute geben...) und
sich dem "traditionellen" Lied zugeneigt fühlt, sollte diese doppelte
Live-CD mal antesten; die Erstauflage im Digipack (mit als Poster
entfaltbarem Booklet) ist zwar mittlerweile schon fast vergriffen, aber die
reguläre Veröffentlichung tut's ja auch. Mit leichter Wehmut muss man auch
hier wieder sagen, dass im Audiobereich (Produktion, Mix) zwar alles Top
ist, man aber das Vinyl-Format schmerzlich vermisst. "Lara Fabian Live"
wäre als Doppel-Live-LP sicherlich auch optisch ein Juwel gewesen.

(c)1999, Oliver Kerkdijk