von Goatstorm » 7. Oktober 2011, 13:14
Ich bin so ziemlich der nostalgischste Mensch, den man sich vorstellen kann. Von daher keine Kritik an Nostalgie per se.
Aber um vielleicht mal das Unbehagen an der Nostalgie-Schiene im Metal zu erklären:
Es mag sein, dass es sich für Veranstalter mehr lohnt, eine Band, die 1984 eine auf 500 limitierte EP veröffentlicht hat, zu buchen, weil es die Leute eben sehen wollen. Danach löst sich die Band wieder auf, der Veranstalter hat volle Hütte, alles gut?
Aber wie soll sich denn bitte so die Szene weiterentwickeln?
Ich habe einfach ein mieses Gefühl, wenn ich sehe, dass für vierstellige Beträge reformierte US-Bands mit einem übriggebliebenen Originalmitglied eingeflogen werden, die 25 Jahre lang keinen Bock mehr auf die Musik hatten und nun mal schnell die Chance nutzen, gratis nach Europa zu kommen. Mag sein, dass es ihnen Spaß macht und sie nochmal kräftig abrocken. Aber hinterher wird sich dann doch wieder aufgelöst. Hugin meinte, es wäre schön, dass man auch noch die Chance hat, "die Originale" zu sehen. Ich denke nicht, dass das, was heute in den meisten Fällen geboten wird "die Originale" sind. Eine Cirith Ungol-"Reunion", bei der nur noch der Bassist am Start ist, auf Headlinerposition zu setzen, ist einfach schlimm. Natürlich wird es Leute geben, die es sehen wollen, weil Kult, Underground, blabla ... Aber für die jungen Bands mit aktuellen Platten und extensiven Touren unterm Gürtel, die dann im Auto schlafen müssen, weil keine Kohle für's Hotel da ist, ist das ein absoluter Schlag ins Gesicht und nicht gerade motivierend, weiterzumachen.
Es wurde schon oft diskutiert, welche aktuellen Bands die Festivals von morgen headlinen werden. Ich sage: keine einzige. Die Headliner 2015 oder 2020 werden die gleichen sein wie 1995 oder 2000. Saxon, Sodom, Slayer werden solange Headliner sein bis sie tot umfallen und danach werden Coverbands ... verzeihung... Tribute-Bands auf Tour geschickt. Vanderbuyst: eine Tour mit Saxon im Gepäck, Auftritte auf allen relevanten Underground-Festivals und drüber hinaus zwei Platten am Start – was passiert: sie müssen für die Rock the Nation-Bands den Aufwärmkasper machen. Enforcer – US-Tour, Terrorizer-Titelstory, zwei Alben ... und was ist? Sie sind immer noch Anheizer? Wie soll denn bitte die Zukunft der Szene aussehen, wenn sogar die jüngeren, konsensfähigen, tourwilligen Bands nie die Chance haben, in den Billings höher zu rutschen? Noch 20 Jahre Saxon und Doro? Es geht ja dann soweit, dass heute tatsächlich schon Coverbands Festivals headlinen (s. Twilight of the Gods). Hier killt die Nostalgie die Zukunft des Metal.
Noch ein Beispiel: letztes Jahr Up-the-Hammers-Festival. Eine komplette 50-köpfige Busgruppe aus Thessaloniki, die sonst immer Start ist, hat das Festival nicht besucht, weil "zu wenige Kult-US-Bands" am Start waren. Wie es sich finanziell auf eine Veranstaltung dieser Größenordnung auswirkt, wenn ein Fünftel der Besucher wegbleibt, weil sie sich nicht für aktuelle Bands wie Skull Fist oder Procession interessieren, muss man nicht extra vorrechnen. Auch hier: Nostalgia is killing Metal.
Es muss wie immer ein Mittelweg gefunden werden. Ohne die alten Helden kann die Flamme nicht weitergereicht werden (*hach*), und ein Festival nur mit jungen, unbekannten Hüpfern ist auch nicht das Wahre. Aber im Moment sehe ich das alles auf keinem guten Weg. Wenn Festivals Miese machen, weil die Leute lieber aus wildfremden Musikern zusammengewürfelte US-Reunions sehen wollen, als junge hungrige aktive Bands mit Zukunft, dann läuft definitiv was falsch. Wenn eine Band mit dem Zeug zu szeneübergreifenden Superstars wie Vanderbuyst nach zwei Alben und Liveerfahrung en Masse noch immer die Vorband geben muss, dann läuft etwas falsch. Das Pendel schlägt für meinen Geschmack im Moment zu sehr in die Nostalgieschiene aus, als dass was Gescheites dabei rauskommen könnte. All diese Bands hatten vor 25 Jahren ihre Chance. Heute wirkt es in den meisten Fällen einfach nur künstlich und inszeniert, wenn sich der Opa mit Halbglatze noch einmal in die Latexjeans zwängt. Tony Marshall singt noch einmal seine größten Hits. Ausnahmen, die's immer noch bringen, gibt's natürlich.
Und darum sehe ich diese Reunion-Veranstaltungen (von Coverbands auf Festivalbillings ganz zu schweigen...) eher kritisch.
Sblood, thou stinkard, I’ll learn ye how to gust … wolde ye swynke me thilke wys?