
Da ein angesagtes Mode- & Lifestylemagazin in der jĂŒngsten Ausgabe einen Bericht ĂŒber Underground Heavy Metal Culture in Athen gefeatured hat, hat sich unsere trendbewusste Hipstertruppe auf den Weg gemacht, das mit eigenen Augen zu erleben. Deswegen ein paar Erinnerungsfetzen in Anlehnung an den dortigen Bericht und mit dem Ziel, den Exarchia-Spirit einzufangen [in Griechenland bleibt es leider nicht aus, neben musikalisch auch kulinarisch und politisch zu reisen]:
Wenn man nur ein Wochenende in Athen verbringt, braucht man eigentlich nicht mehr als die 150 Meter von der KolĂ©tti-StraĂe bis zur PlatĂa ExarchĂon als Bewegungsraum. Am oberen Ende der KolĂ©tti sind wir natĂŒrlich traditionsgemÀà in
Y Zoula eingekehrt. Zur unserer BestĂŒrzung sagte man uns, Nektarios (Mystikos) sei krankheitsbedingt lĂ€nger abwesend. Er ist aber offenbar auf dem Weg der Besserung, lĂ€sst grĂŒĂen, besonders Manuel, und gibt uns per Telefon eine Kanne RakĂ aus. Der junge Ersatz-Nektarios am Tresen erhellt fĂŒr mich zum ersten Mal die Terminologie:
Rakà ist reiner Tresterbrand, wÀhrend bei
TsĂpouro ein leichter Zusatz Anis hinzukommt (aber anders als bei Ouzo kaum bemerkbar). Verkompliziert wird die Sache aber durch die regionale Distribution der Begriffe: auf Kreta heiĂt es
RakĂ, wĂ€hrend man in Nordgriechenland traditionell nur
TsĂpouro in seinem Hinterhof destilliert. Daneben findet sich auf Kreta die alternative Bezeichnung
TsikoudĂa und auf Zypern heiĂt der Trank generell
ZivanĂa - wohl auch, um sich von tĂŒrkischen Begriffen zu emanzipieren.
FĂŒr das leibliche Wohl zwischendurch sorgt die wohl beste Fastfood-Bude Griechenlands, an der Ecke KolĂ©tti/ThemistoklĂ©ous, die traditionelle Souvlakeria
Giorgos-Manos. Geöffnet nur werktags mittags bedient sie eine lange Schlange ausschlieĂlich Einheimischer wĂ€hrend ihrer Mittagspause in Akkordgeschwindigkeit. Der bekannte kleine SpieĂ Souvlaki (in Athen meist
Kalamaki) enthĂ€lt das Deminutivsuffix â
aki; die Ableitungsbasis
Souvla wird in dieser Form zwar nur im zyprischen Dialekt verwendet (man sagt mir, in Griechenland bezeichne es primĂ€r das gesamte aufgespieĂte Osterlamm), bei Girgos Manos gibt es den groĂen, frisch und lange ĂŒber Holzkohle gebrutzelten SpieĂ unter dem Namen
Kontosouvli (sprich:
Kodosufli). Besser bestellt man es nicht in der Pita sondern fĂŒr wenige Euro als Hauptmahlzeit (
ja merida) einen ganzen Teller voll dieses unglaublich groĂartigen Fleisches. Hat was von SpieĂbraten, nur noch saftiger und knuspriger.

SchrĂ€g gegenĂŒber, die ThemistoklĂ©ous hinauf, wurde erst wenige Tage zuvor ein leerstehendes Haus von internationalen Aktivisten besetzt (bereits das dritte in dieser StraĂe). Es herrscht reges Treiben und ein MĂ€del aus Ăsterreich erzĂ€hlt, es soll ein gemeinsames Projekt fĂŒr und mit Refugees werden. Trotz dem groĂen Leerstand in der ganzen Stadt wird das wohl kaum als Vorbild ausstrahlen, wer will schon in Griechenland bleiben?
Nur wenige hundert Meter vom Festival entfernt befindet sich der Viktoria-Platz, der neben IdomĂ©ni in der letzten Zeit immer wieder fĂŒr Fernsehbilder mit seinen Hunderten gestrandeten, auf offener StraĂe kampierenden FlĂŒchtlingen gesorgt hat. Also Stino-Tourist bemerkt man sonst, auĂer vielleicht am FĂ€hrhafen von PirĂ€us, ĂŒberhaupt nichts von den vielen Menschen, die da durch die Stadt gen Norden ziehen.
Ein paar Schritte weiter sind wir bereits an unserem Hotel, dem Exarchion. Auch hier wurden freie Zimmer an FlĂŒchtlinge vergeben, zu Nichtstun und Ungewissheit verdammt und in Konkurrenz mit uns Touristen.

Direkt gegenĂŒber dem Exarchion-Hotel können wir uns am Abend wieder ungestört dem Hedonismus widmen. Der Ragnarok-Club ist dann aber sogar den Griechen zu heiĂ und stickig und so verlagert sich die Aftershowparty auf die StraĂe vor die Kneipe Dr. Feelgood. Bis zum Morgengrauen werden die Auftritte diskutiert, obskure Demobands gefeiert und vorbeikommenden Musikern freundschaftlich gehuldigt. NatĂŒrlich bleibt es auch hier nicht aus, dass man sich bei den lokalen Bekannten nach ihrer Lage erkundigt. Einer erzĂ€hlt, er arbeite bei seiner alten Firma, obwohl sie seit Monaten keinen Lohn mehr zahlt, die ganze Familie lebt nur von der Rente der Eltern. Seine Freundin ist genauso arbeitslos, aber engagiert sich in der FlĂŒchtlingshilfe. Was viele in Deutschland nicht verstehen, ist die fatalistische Haltung, zu der die Griechen gezwungen sind, wenn sie nicht gĂ€nzlich verzweifeln wollen. Hoffnung gibt es sowieso keine mehr, dann wird der letzte Cent genommen und in einen gemeinsamen Abend wie hier mit Freunden gesteckt. NatĂŒrlich trifft man die, denen es wirklich dreckig geht, sowieso nicht mehr hier. Viele alte Bekannte können auch nicht kommen, da sie in drei Jobs schuften mĂŒssen.
Am meisten schockiert mich ein griechischer Kumpel, der schon oft auf deutschen Festivals war, aber erzĂ€hlt, dass er keine Lust mehr hat nach Deutschland zu fahren, wo er auch auf unseren Undergroundevents stĂ€ndig, und sei es humorvoll, nach dem Verbleib unseres Steuergeldes gefragt wird. Weniger streng nehmen es etliche Souvenirshops, die fĂŒr den anstehenden Karneval Masken von Tsipras, Varoufakis, SchĂ€uble und Merkel offerieren â letztere als Vampire.
Nach einer OuzolÀnge wechselt das GesprÀch schnell wieder zu Metal und Staatsgrenzen und Ressentiments sind sofort vergessen.
Deswegen zum eigentlichen Festival, wenn auch nur kurz angerissen:

SKULLWINX sind fetzig und HARDRAW veröffentlichen hoffentlich bald ihr DebĂŒt mit bestem, reinrassigem Traditionsstahl.
BLASPHEME bringen viele Klassiker mit Alexis (HĂRLEMENT) und einem noch etwas passenderem, anderem französischem GastsĂ€nger.
SACRAL RAGE sind nicht ganz mein Fall, aber sie machen sich doch sehr gut und mittlerweile sehr professionell. Vielen Griechen gefĂ€lltâs.
IRONSWORD boten eine famose, barbarisch-epische Show. Es war schade, dass letztens in Dittgheim so wenig los war, hier tobte wie zu erwarten eine kleine Meute vor der BĂŒhne. Laut Eigenaussage haben sie zum ersten Mal das archaische âAncient Sword of the Deadâ live dargeboten. Ergreifend.

VIRGIN STEELE haben sich selbst durch den Sound völlig vermasselt. Kaum einer hĂ€lt wegen dem völlig ĂŒbersteuerten Hall des Mikros den ganzen Auftritt aus.

SOLITARY SABRED aus Zypern waren die Definition eines griechischen Epic Metal-Gigs â stilecht mit Ausschank von ZivanĂa (s.o.).
Begeisterung konnten abermals ETRUSGRAVE auslösen, allein die eigenen Songs mit Hymnen wie âAngel of Darknessâ wussten jeden Anwesenden zu packen, wurden aber freilich vom Semicover âColossus of Argyllâ noch in den Schatten gestellt.
HEIR APPARENT spielen einen Klassiker nach dem nĂ€chsten, gesanglich top, das Publikum ergriffen, ganz groĂer SpaĂ.
HEATHENS FROM THE NORTH boten ein groĂartiges Erlebnis etlicher HEAVY LOAD-Klassiker â wenn auch fast ausschlieĂlich als Covershow. Die ganze Halle intonierte hingebungsvoll âSinging Swordsâ, âHeathens from the Northâ etc. Eddy Malm wird trotz nur vier gesungener Lieder frenetisch abgefeiert.

WÀhrend die letzten Festivalbesucher zu Bett gehen, öffnet gleich oberhalb der Exarchia-Wochenmarkt.

Eat Metal hat nun ĂŒbrigens auch wieder einen richtigen Laden, der sogar ebenerdig liegt und so nicht zu ĂŒbersehen ist. Es wird nur einige Zeit dauern, bis der urige Mief wieder in alle Poren gezogen ist und ihm das authentische Flair des alten Mausoleums zurĂŒckverleiht.

Achja, auf und um die Akropolis herum waren wir auch.


Ein kleiner Beigeschmack bleibt, wurde doch einem Kumpel beinahe sein Rucksack direkt vor einem Aftershowclub gestohlen. Im Prinzip ist Exarchia die entspannteste und vielleicht auch sicherste Ecke von Athen, nur die DrogenhĂ€ndler sorgen fĂŒr etwas KleinkriminalitĂ€t. Die ist hier aber sogar nachts noch deutlich geringer als an anderen Ecken der Stadt am Tag.
