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Magnum: On A Storyteller's Night

Dieses Teil aus 1985 musste einfach mal in die Sacred Classix-Abteilung rein. Zusammen mit "Chase The Dragon" ('82) bildet es sozusagen das Magnum-Opus Magnums: britischer Melodic Rock vom Fass, gezapft vom vollbärtigen Gitarristen Tony Clarkin und Immer-gut-drauf-Sänger Bob Catley, zusammen mit drei trendfreien Mitstreitern.

Der Sound Magnums kam dank Kansas-Producer Jeff Glixman schon auf "Chase The Dragon" rockig rüber. Wenn man sich die pre-'83 Sachen anhört, fällt sofort auf, dass Catley sich damals keine Mühe gab, seinen ausgeprägten Akzent zu verhüllen. Ebensowenig, wie sich ca. 1980 die NWOBHM-Bands einen Dreck darum scherten, "the Queen's English" zu pflegen. Working class heroes, the lot of 'em!

Auf "On A Storyteller's Night" (wie die besten Magnum-Scheiben versehen mit zauberhaftem Rodney Matthews-Artwork) hat Producer Kit Woolven (der in letzter Zeit auch Anathema aufnahmetechnisch betreut) die abwechslungsreichen Nummern zwar ein wenig poliert, dabei aber das Rock-Element völlig intakt gelassen. Seine Bemühungen sind für die epischen Songs zweifellos das i-Tüpfelchen gewesen. Was man auf "Chase The Dragon" bei Titeln wie "Sacred Hour", "The Spirit" oder "Soldier Of The Line" noch an Finesse vermisste, wurde unter Woolvens Aufsicht auf "On A Storyteller's Night" detailliert ausgearbeitet. Vor allem der Gänsehaut-Track "Les Morts Dansant" wäre ohne diesen Sound um einiges ärmer ausgefallen. Auch hört man Catleys Performance deutlich an, dass hinter dem Mischpult ein Producer sass der wirklich das beste aus einer Band herausholen wollte.

Straighte Rocker wie "Just Like An Arrow" oder "Two Hearts" (beide mit Refrains und Melodien, die sich schon nach einmal hören unvergessen machen) wären noch in der "Chase The Dragon"-Phase als passabel durchgegangen, sind hier aber zu energischen Melodic-Perlen gewachsen. Clarkins Gitarre klingt voller und vor allem Mark Stanways Keys und Synths wurden feiner aufgenommen und perfekt im Gesamtklangbild integriert. Man spiele nur das herrliche "Steal Your Heart" (was für 'ne Melodie!) und voilà: I rest my case! Die Platte (zuerst beim Indie-Label Heavy Metal Records herausgebracht, später von Polydor wiederveröffentlicht) war ein voller Erfolg und gab es sogar in den kleinsten Läden zu kaufen, was man von den Vorgängern durchaus nicht behaupten kann. Ehrliche Rockmusik währte damals anscheinend noch am längsten. Die besten Tracks der Scheibe sind zu Klassikern innerhalb des melodischen Rocks geworden: "How Far Jerusalem", "On A Storyteller's Night", das schon erwähnte "Les Morts Dansant" und die erhabene Ballade "The Last Dance". Der Titeltrack hat einen göttlichen (Pre-)Chorus, der textlich die romantisch-märchenhafte Seite des Magnum-Oeuvres widerspiegelt:

"Try to sleep on your pillow and dream
Sleep, all God's children to keep
Though we all lose track of time
Disappears like faded lines

Keep your night light burning
I'll come through wind and rain
Keep your night light burning
I'll be with you once again"

Bis heute ist "Les Morts Dansant" (mit einer Anfangsstrophe angelehnt an Alfred Lord Tennysons epischem Gedicht "The charge of the light brigade") einer meiner Lieblingssongs überhaupt geblieben. Diese kleine, traurige Geschichte über einen im Krieg fusillierten, anonymen Soldaten wurde (wie der gesamte Magnum-Katalog!) von Clarkin wie üblich im Alleingang verfasst und mit einer nicht mehr zu toppenden Melodie versehen. Der Refrain ist reines Magnum-Gold. Catley singt, als stehe er selbst da in jener Nacht mit zugebundenen Augen, wartend auf den erlösenden Schuss. Die perfekt arrangierten Chöre vermitteln zudem dieses Feeling, dass nur eine brillante Rockballade zu erzeugen vermag.

Mit "The last dance" geht die Scheibe passend, aber viel zu schnell zu Ende. Es ist eine Piano-Ballade wie sie im Buche steht, über eine halbwegs gescheiterte Existenz, die immer wieder versucht, ihre Einsamkeit zu besiegen. Diese Klasse erreichten Magnum danach nur noch selten, obwohl es hin und wieder kleine musikalische Sternstündchen gab und sogar grössere Chart-Erfolge. Deshalb ist es irgendwie auch zu verstehen, dass Tony Clarkin nach achtzehn Jahren Magnum-Leben in 1995 vorerst das Handtuch warf; mit seinem Projekt Hard Rain (inklusive Bob Catley) kehrte er dennoch im nachfolgenden Jahr ins Land der Melodien zurück und hat in dieser Konstellation mittlerweile zwei Alben draussen.

Die Lücke, die die Formation aus der Industrie-Metropole Birmingham hinterlassen hat, wird (ironischerweise seit dem Magnum-Sterbensjahr 1995) ein wenig gefüllt von den ebenfalls sehr britischen Rockern Ten, um Ausnahmesänger Gary Hughes und ex-Dare-Klampfer Vinnie Burns. Der noch immer ansprechende Mix aus guten Rocksongs, Balladen und längeren epischen Tracks mit Fantasy- oder Märchenlyrics lebt indes weiter, sei es in einer etwas härteren Ausgabe. Hughes schrieb übrigens in '98 sämtliches Material für Bob Catleys Solo-Ausflug "The tower", konnte dabei aber nicht den klassischen Standard früherer Magnum-Zeiten mit Tony Clarkin erreichen. Letzterer hat das Kapitel Magnum geschlossen, leider. Aber, wer weiss, vielleicht heisst es auch für die Band, die sich niemals irgendwelchen Trends anpasste (oder anpassen konnte) einmal "For whom the reunion bell tolls..."

(c) 1999, Oliver Kerkdijk