Bible of the Devil – The diabolic
procession
Eines der bizarrsten Kapitel in der
Geschichte der Kirche ist das der Kinderkreuzzüge im Jahre 1212. Geleitet von
der Vision eines einfachen Hirtenjungen, brachen fast 20.000 unbewaffnete
Kinder, Jugendliche und Arme von Lothringen und Köln aus auf, um die Heilige
Stadt Jerusalem allein durch die Kraft ihrer Unschuld zu befreien. Noch vor
der Überfahrt nach Palästina geriet die Reise wenig überraschend zum Desaster.
Verrat, religiöse Verblendung und fehlende Unterstützung durch Kirche und Adel
sorgten letztlich dafür, dass die unglückselige Pilgerfahrt für die meisten
Jugendlichen in der Sklaverei oder auf dem Grunde des Mittelmeeres endete.
Exakt 794 Jahre später stricken BIBLE OF THE DEVIL aus dem tragischen,
durchaus aktuellen Stoff ein Konzeptalbum namens „The diabolic procession“.
Aber wo Stephan de Cloyes’ teuflisch fehlgeleitete Prozession scheiterte,
räumen BIBLE OF THE DEVIL auf ganzer Linie ab. Und Heiliger Joseph von
Arimathäa! Trotz des ohnehin starken Vorgängers, hätte ich den Chicagoern
einen derartigen Qualitätssprung nie und nimmer zugetraut!
An Mark Hoffmans heiserem, Metal-untypischem Shouting werden sich nach wie vor
die Geister scheiden, doch der Rest ist makelloser, filigran gegossener Stahl.
Die starke Motörhead- und Punk-Schlagseite von „Brutality Majesty Eternity“
(2005) klingt nur noch im Opener „Ecclesia Novorum Innocentium“ an,
stattdessen setzt die Band immer deutlicher auf klassischen 80er Jahre Metal
mit rotz-rockigem Fundament und atemberaubenden Gitarrenduellen. Allein die
Twin-Guitars im heftigen „Orphans of Doom“ sollten jedem Maiden- und Thin
Lizzy-Jünger Tränen der Rührung in die Augen drücken.
Beeindruckend sind die irre Energie und das ausgefeilte Songwriting, mit dem
die Burschen auftrumpfen. Ein Killerriff jagt das nächste, eine
Gänsehautmelodie die andere. Alles ist am richtigen Platz, wirkt schlüssig und
wird technisch perfekt und in einer ansprechenden Produktion dargeboten. Egal
ob beim schnellen Headbanger „Legions of the Oriflamme“, dem von träumerischen
Akustikgitarren eingeleiteten „The elusive miracle“ oder dem elegischen „Judas
Ships“ – Innovation und Tradition auf gleichem, höllisch hohen, Niveau. Hat
man sich erst an die punkige Stimme gewöhnt, wird man mit einem
ungewöhnlichen, intelligenten Album ohne jegliche Schwachpunkte belohnt.
Kaufbefehl!
P.S.: Leider ist zu befürchten, dass – ebenso wie die Kinderkreuzzüge – auch
das Unternehmen BIBLE OF THE DEVIL unter keinem guten Stern steht. Der 52.
Platz im Rock Hard-Soundcheck ist eine beispiellose Frechheit, die nicht mehr
allein durch Geschmack zu begründen ist und einmal mehr deutlich zeigt,
wieviel das „unabhängige“ Urteil des einstigen deutschen Metal-Flaggschiffs
heute noch wert ist (lieber Götz, wenn „an der Klasse dieser Band keine
Zweifel bestehen“, wie Du schreibst – warum nur 7,5 Punkte?).
(c)2006, Manuel Trummer