Die Sechziger sind vorbei? Wer hat Euch denn den Müll erzählt? Die fangen gerade
erst an, haha. Ich habe hier das Debütalbum einer sehr eigenwilligen britischen
Formation vorliegen, einer Band, die schon zum Teil aus älteren Herrschaften
besteht, welche die 40 sicher schon überschritten haben, aber eben erst jetzt
dazu kommen, ihre Visionen musikalisch umzusetzen. EARTHLING SOCIETY.
Der Opener "Black Witch" ist schon ein Klassesong, wilde, hypnotische Rhythmen,
eine monoton groovende Basslinie, wabernde Synthies mit betörenden Melodien,
leicht verzerrte Gitarrenparts und allerlei einfach nur verrückte Spacegeräusche,
ein wenig Orgel und schon schwebt man davon.
Eine Sphäre aus Synthesizerklängen bereitet den Übergang zu "Heart of Glass"
vor, dessen Intro ein mit Effekten überlagerter Sample einer politischen Rede
ist. Dann kommt eine bezaubernde cleane Gitarrenmelodie und verhalltes Gemurmele
im Hintergrund, der Bass setzt ein, das Schlagzeug tritt hinzu, ganz verhalten,
ganz sachte. Langsam kommt der Song in die Gänge, wird intensiver, zieht sich
aber auch genauso rasch wieder in sich selbst zurück. Das Ende sind nur noch
gesprochene Samples mit viel Hall darauf.
Nun zum Titelsong, einem von Melancholie getriebenen und doch hoffnungsvoll
tönenden Rocksong mit spacigen Gitarren, bezaubernden Melodien von Synthesizer
und Klampfen, sehr emotionalem Gesang und einer tiefen, benebelnden
Ausstrahlung. Dieses Stück hat ein Feeling wie die psychedelische Musik im
swingenden London 1968 bis 1971 gemischt mit der Leichtfüssigkeit der
amerikanischen Westcoast Psychedelia. PINK FLOYD meets NEIL YOUNG? Kein
abwegiger Vergleich, Herrschaften. Hier klirren die Gitarren besonders feine
Akkordfolgen aus den Boxen, ja, sie klirren regelrecht.
Der Sound ist allgemein sehr eigenwillig. Er klingt natürlich und verfremdet,
als sehr schwebend, als wäre die Band beim Einspielen nebst ihres Tontechnikers
vollkommen bedröhnt gewesen.
"Outsideofintime" führt den eingeschlagenen Weg fort, ein Wust aus
Spaceeffekten unter dem vom Bass die Grundmelodie gespielt wird. Gitarre und
Gesang sind hier eher als zusätzliche Effektgeräte zu sehen, wobei die Klampfe
zumindest noch schöne, clean geschlagene Wahwahklänge von sich gibt, aus denen
sich kleine Harmonien herausschälen. Die Synthesizer spielen sich ab und zu in
den Vordergrund und bringen hier und da eine Notenfolge an, verlieren sich
jedoch immer wieder rasch in der Tiefe des Klangraumes. Der Gesang wurde derart
mit verschiedenen Sounds behandelt, daß von ihm kaum mehr als ein ratschendes
Geräusch übrig ist, klingt krank, aber auch irgendwo vollkommen geil.
Zeit, der "Beltane Queen" zu huldigen. Das hier ist ein sanfter Song von
herrlicher Schwere. Akustische Gitarren, Percussions, schwebende Vocallines,
eine ganz zarte Querflötenmelodie, die dem Gesang folgt und schon hat man ein
gemächlich fließendes, Geborgenheit vermittelndes Lied, auf dem man sich für
Minuten treiben lassen kann ohne Sorgen haben zu müssen. Im weiteren Verlauf, so
Richtung Schluß, wird der Song intensiver, bauscht sich auf, ohne daß sich die
Instrumentierung ändern würde, wird lauter, wird gewaltiger, hypnotischer
vielleicht. Man wähnt sich auf einem Fest von langhaarigen Menschen in bunten
Gewändern, die ausgelassen herumtanzen.
Ein lockerer Groove, zurückhaltender Gesang und sehr frei gespielte, jazzig
anmutende Gitarrenlinien bestimmen den nächsten Song "When it all comes down".
Ein blubbernder Synthesizer gesellt sich für eine Weile dazu. Trotz aller
Geradlinigkeit ein sehr abgefahrener Song, bei dem gerade die irrsinnige Gitarre
an Freejazzer der späten Sechziger erinnert, während der Rest eher aus den Fugen
geratender Psychedelicpop ist. Aber halt, die Gitarre kann auch ganz normale,
allerdings schon recht bunte Läufe anbringen, die den Song rockig vorantreiben.
"Universal mainline" fängt ganz entspannt, ganz ruhig an. TV Samples, ruhiger
Gesang, Klaviernoten. Eine ganze Weile läuft das Stück so vor sich hin. Dann der
Bruch, ein Schlagzeuggroove setzt ein, der Bass kommt dazu, Gewabere im
Hintergrund, die TV Samples bleiben, das Piano auch, die Gitarre spinnt wieder
ihre angezerrten Läufe und Sounds, eine betörende Gesangslinie darüber und nun
auch echte Gitarrenleads und - melodien. Ein wenig flotter wird es dann, der
Song mutiert zu reinrassigem Spacerock mit episch - majestätischem Ausdruck und
kehrt wieder zum gelassen schlendernden Mid Tempo zurück. So zieht sich der Song
über die Runden, man schwingt mit, man wird erfüllt mit seiner wunderbaren
Kraft. Ein kleiner Psychedelic Hit und das wirklich 36 Jahre nachdem solche
Musik angesagt war.
Mein Fazit für diese Scheibe ist, daß man sich hier als 60s Fan wunderbar
austoben kann. Metal und Hardrock werden hier nicht geboten, Stonerfreaks
brauchen es ebenfalls gar nicht erst versuchen, das hier ist Psyche in
Reinkultur, beseelt, vielleicht schon fast besessen zu nennen. Kommt im schönen
Digipack mit Extrabooklet.
www.nasoni-records.com /
www.earthlingsociety.co.uk (c) 2005, Sascha
Maurer